das hier ist cool genug - ein wöchentlicher newsletter über die kultur der digitalen welt.
wöchentlich heißt übrigens normalerweise montag. letzte woche ausnahmsweise samstag. diesmal testweise sonntag.
let’s see where this goes.
Das D-Wort
Ich bin diese Woche auf eine Frage gestoßen, die mich nicht losgelassen hat.
Gestellt habe ich sie nicht selbst, sondern TikTokerin yukachuki. Die Frage ist folgende:
hold up… am i getting this wrong or are americans seriously trying to cancel germans for saying “digga”
Das fragestellende TikTok (das nichts enthält außer dem Zitat und einem sehr schönen Lacher) hat in der letzten Woche eine halbe Million Views und einen Haufen gute Kommentare angesammelt. Top Comment: “Die ganze Welt sollte USA canceln.” Lol.
Ich also: eingetaucht in die Sache.
Was ist passiert?
Vor etwa einer Woche hat eine deutsche Schülerin, deren Kanal sonst eigentlich nur drei- oder vierstellige View-Zahlen bekommt, in einem TikTok das Wort "Digga" benutzt. Weil das Video - aus welchem Grund auch immer - auch an User in den USA ausgespielt wurde, kamen ein paar Zuschauer auf die Idee, sie hätte ein anderes Wort gesagt, welches - fürs ungeübte Ohr - ganz ähnlich klingt wie "Digga", aber ziemlich schlimm ist.
Es gab wütende Kommentare, es gab Shares und Reaktionen. Ein Traum für den Algorithmus: Das TikTok war für einen Moment ein viraler Hit. Mittlerweile ist es nicht mehr online - dafür aber die zwei nachgeschobenen Apology-TikToks des Mädchens, in denen sie einen ziemlich schüchternen Eindruck macht und versucht, sich gegen wütende Ami-Comments zu verteidigen ("I'm sorry if I offended anyone, I didn't mean to cause harm.")
Ihre Comment Sections sind zum Glück voll mit (deutschsprachigem) Support - trotzdem macht es ein sehr ungutes Gefühl, einer Minderjährigen, die einfach nur zum Spaß TikToks hochlädt, dabei zuzusehen, wie sie sich öffentlich mit so einer Sache herumschlägt und damit augenscheinlich ziemlich strugglet. Deswegen verlinke ich den Account hier auch nicht. (er ist allerdings nicht gerade komplett geheim - mit etwas Wühlen habe ich ihn schließlich auch gefunden)
Zwei Sachen, an die ich bei dieser Story denken musste - neben "Die Arme" und "Digga, das ist alles so dumm".
1. Es wurde schon alles gepostet, nur nicht überall
Es gehört zum Wesen einer jeden neuen Internet-Generation, die Fehler der Vorgänger-Generation zu wiederholen, ohne zu wissen, dass all das schonmal woanders ausdiskutiert wurde.
Ich habe in einem anderen Text schon darüber geschrieben, wie ein großer Teil der "Cancel Culture"-Debatte auf Twitter im Wesentlichen eine größere und schlimmere Version von dem ist, was vor einigen Jahren auf Tumblr los war.
Genauso ist die "Digga"/"n*****"-Kiste in etwa so alt wie der kulturelle Austausch zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten. Es gibt so einige Reddit-Threads und Blog-Texte zu dem Thema, und im Urban Dictionary bestehen sämtliche Einträge zu "Digga" hauptsächlich aus Beteuerungen, dass das Wort nichts, gar gar nichts mit dem anderen, ähnlich klingenden, Wort zu tun habe, sondern eine Kurzform von “Dicker Freund” sei.
It's a German word mostly used in or around Hamburg which has absolutely nothing to do with the word n****!
"Digga, hast du ein Problem?!" - "You got a problem, dude?"
"Ey Digga, was geht?" - "Yo dude, what's up?"
Dass diese “Debatte” auf TikTok, einer Plattform ohne Links und ohne Time Stamps, in der Diskursbeiträge kontextlos auf die For You-Page gekippt werden und in der Entscheidungen über das Leben und den Tod von Accounts von ominösen omnipotenten Algorithmen getroffen werden, nochmal besonders übel wird, wundert eigentlich nicht.
2. Wir sind nicht für das Internet gemacht
The future is local: Jedes Medienunternehmen von Facebook bis Substack möchte in die sterbende Spezies des Lokaljournalismus investieren. Außerdem sollen kürzere Lieferketten das Klima retten. Ich bin eigentlich ein ziemlicher Fan der Globalisierung und finde es z.B. super, dass ich auf Etsy heute einen indonesischen Zeichner anheuern kann, um ein personalisiertes Geburtstagsgeschenk zu zeichnen. Aber gerade so was wie Digga-Geschichte zeigt ganz gut, warum wir im Inneren eigentlich immer noch Höhlenmenschen sind, die sich schwer bei der Vorstellung von allem tun, was weiter als fünf Kilometer von unserem Schlafplatz entfernt ist.
Ich selber habe vor zwei Monaten einen Text über die unkontrollierbaren Mechanismen der K-Pop-Fandoms auf Twitter geschrieben, mein Tweet dazu ging dank eines Shahak Shapira-Retweets viral, und über die nächsten 48 Stunden waren meine Mentions voll mit Teenagern aus aller Welt, die mir pauschal Verharmlosung von Rassismus vorwarfen. Natürlich ohne meinen Text gelesen zu haben, weil sie kein Deutsch konnten.
Bestimmte Aspekte der sozialen Gerechtigkeit können durchaus durch gute Arbeit auf Social Media vorangetrieben werden. Aber dass koreanische Kids deutschen Journalisten wütende Drukos schreiben, weil sie glauben, sich zusammenreimen zu können, dass dieser Journalist ein problematischer Sack ist, ist keine brauchbare Entwicklung. Es ist nur leider eine, die sich komplett folgerichtig aus dem Aufbau von Twitter und anderen Plattformen ergibt.
Genauso ist niemandem geholfen, wenn amerikanische Kids (die es natürlich auch nur gut meinen), eine deutsche Jugendliche für ein Wort kritisieren, was sie glauben gehört zu haben und damit einen Shitstorm lostreten.
Letzteres ist auch irgendwie ein sehr amerikanisches Phänomen, und erinnert mich zum Beispiel daran, dass unter diesem tollen Tweet über verschiedene Arten von Fischbrötchen gleich mehrere Amerikaner verwirrt davon waren, dass da "Krabben" steht und nicht "Shrimp".
Zusammengefasst ist das Problem also:
30% Amerika
30% TikTok
40% Social Media allgemein
Und "Digga" ist 100% ungecancelt.
Gute Nachrichten: Ich verstehe endlich Rollschuhe
Wenn es dir so geht wie mir, dann gibt es zwei bis drei Leute in deinem Umfeld, die immer mal wieder einen Satz droppen wie “xy ist ja jetzt total der Trend, deswegen…”, worauf ich entgegne “Das ist ein Trend? Was? Wie? Seit wann? Warum?”
Beispiel: Rollschuhe. Letztes Jahr habe ich gehört, Rollschuhe seien das It-Piece des Sommers 2020, und weil zum Glück nicht alle Trends so schnell vorbei sind wie Fidget Spinner haben wir diesen Sommer hoffentlich immer noch etwas davon.
Denn: Rollerskate-TikTok wird jetzt erst richtig gut.
Come for the skates, stay for the magic!
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Ich lachte laut über dieses TikTok
Das Meme
türlich türlich!
🎷,