Fandom: Eine Warnung
Was in Stan-Twitter und K-Pop-Fandom falsch läuft +++ Winfried Kretschmann: Sie kennen Ihn
Das hier ist eine “Sonder”ausgabe meines Newsletters aus gegebenem Anlass - und weil ich mittlerweile von Leuten weiß, die Drohungen bekommen haben, nur weil sie mal mit einem gewissen Bayern 3-Moderator auf einem Bild waren.
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Stannen: Kenn dein Limit
Letzte Woche erfuhren wir zum ersten Mal die Wahrheit über einen der prägendsten Blogs der Social Media-Welt. “Your Fave is Problematic” ist zwar als Name nur denen bekannt, die Anfang der 10er-Jahre auf Tumblr unterwegs waren, hat aber die modernen Formen der Twitter-Cancel-Culture wesentlich mitgeprägt. Die Autorin veröffentlichte Posts über verschiedene Promis, und darin jeweils eine Auflistung von allem, was sie nach Ansicht der Autorin problematisch machte (von echten rassistischen Äußerungen bis zu extrem dubios hingesponnenen Vorwürfen und sogar glatten Erfindungen).
Man hätte sich kaum ein schlechteres Vorbild auswählen können. Die moderne Social Media-Angewohnheit, Menschen nicht als Menschen zu beurteilen, sondern als laufende Sammlung von aus dem Kontext gerissenen Tweets, ist ein gigantisches Problem - wie jeder, der auch nur eine entfernte Ahnung von Social Media-Dynamiken hat, weiß. Der Begriff “Cancel Culture” ist leider durch den Doppel-Punch der Instrumentalisierung von rechts und Leugnung von links völlig ungeeignet geworden, um das Phänomen zu beschreiben - trotzdem wird die Sache an sich immer größer und immer toxischer (die linke transsexuelle YouTuberin ContraPoints hat hierzu ein grandioses Video gemacht, welches ich trotz seiner Länge jedem aufzwingen möchte, der behauptet, Cancel Culture würde nicht existieren).
Diese Woche hat sich nun die Schöpferin von Your Fave is Problematic zu Wort gemeldet. In einem bemerkenswerten New York Times-Text geht sie auf ihren Blog ein, den sie vor einem Jahrzehnt für nur kurze Zeit betrieben hat, als sie noch ein Teenager war. Es ist ein fantastischer Text, selbstreflektiert und hart.
Die Autorin erzählt darin, dass ihre Kampagne, die angeblich im Dienst von Social Justice stand, tatsächlich wenig damit zu tun hatte, und vielmehr ein Outlet für ihre persönlichen Schmerzen und Probleme war.
Teenage me, teaching myself about social justice on Tumblr while also posturing as an authority on that very subject, thinking I was making a difference while engaging in a bit of schadenfreude. Meanwhile, other movements — local, global, unified in their purposes and rooted in progressive philosophies — were organizing for actual justice.



Der Text erschien Donnerstagmorgen und brachte eine klare Botschaft: Wenn wir wirklich den Stand unserer sozialen Medien verbessern wollen, sollten wir es kritisch sehen, wenn wir Jugendliche mit jeder Menge aufgestauter Wut den Diskurs bestimmen lassen.
Am gleichen Tag begann #Bayern3Racist zu trenden. Weltweit. Und am Samstagmittag, dem Zeitpunkt, an dem ich diesen Text schreibe, trendet #Bayern3Racist immer noch.
Das hier ist (offensichtlicherweise) kein Blog über Rassismus - es gibt sehr gute Texte und Podcasts, die sich auf anschauliche Weise mit dem anti-asiatischem Rassismus befassen, der gerade seit dem Beginn der Corona-Krise ein großes Problem ist.
Das hier ist ein Blog über das Internet. Und hier ist, was ich über das Internet weiß:
Wenn eine Gruppe im Netz gleichzeitig von gigantischen Zahlen und einem starken “Wir gegen die”-Gefühl geprägt ist, wird sie irgendwann gefährlich. Immer. Egal ob wir über die Fans von Superheldencomics, von Star Wars oder von Verschwörungstheorien sprechen. In diesem Fall reden wir über Stan Twitter, und konkret über K-Pop-Stans.
Dass Matthias Matuschik für das, was er gesagt hat, eins auf den Deckel bekommen hat, ist absolut verständlich und vermutlich sogar ein Argument Pro Cancel Culture - vor der Ära von Twitter wären solche Aussagen ganz selbstverständlich stehengelassen worden.
Aber dass eine weltweite Netz-Community es geschafft hat, dass auch noch Tage nach dem ursprünglichen Ereignis koreanische Teenager Drohungen an die Familie eines bayerischen Radiomoderators schicken? Das ist so jenseits jeder Verhältnismäßigkeit, es macht mir ziemliche Sorgen.
Kein Mensch kann mir erzählen, dass dadurch irgendetwas gewonnen ist. Bayern 3 hat nichts davon. Die koreanischen (und russischen, und amerikanischen, usw) Teenager haben nichts davon. Und der Rest der Welt hat auch nichts davon, weil die Lektion sich langsam aber sicher von “Pass auf, dass du keine rassistischen Ressentiments bedienst” zu “Pass auf, dass du nicht dem größten Internet-Mob aller Zeiten ans Bein pisst” wandelt. Es geht irgendwann nicht mehr um Rassismus, zumindest nicht in der öffentlichen Warnehmung. Dort geht es jetzt in erster Linie darum, dass die Fans von BTS, der größten Band der Welt, ihren Einfluss unter Beweis stellen.
Wie die Gefahren, die von so einer riesigen Internet-Gruppe ausgehen, aussehen, sieht man jetzt schon. Das jüngste Beispiel: Comedian Shahak Shapira, der am Freitag einen Versuch startete, K-Pop-Fans gegen die AfD aufzustacheln: Er legte AfD-Politikern BTS-kritische Kommentare in den Mund und gab in dem folgenden Shitstorm Email- und Post-Adressen heraus, von denen er sagte sie wären die seines Managements. Tatsächlich waren es Adressen der AfD. Die Aktion war bewusst transparent - man musste nur ein Minimum an Aufwand aufbringen, um sie zu durchschauen, auch ohne Deutschkenntnisse.
Trotzdem passierte das hier:



Man kann diese Aktion von Shahak lustig oder nicht lustig finden. (Ich persönlich finde sie grandios. Wenn du dich an Internet-Shitstorms beteiligst, von denen du keine Ahnung hast, dann musst du auch lernen, dass dich jemand dabei trollen kann. Und viele dieser Kids hätte es deutlich schlimmer treffen können, indem sie z.B. kein deutscher Comedian trollt, sondern jemand, der er es wirklich böse meint.) Aber alle Concerns, die man mit der Aktion haben könnte, verpuffen, sobald man sieht, mit was für Sätzen der jüdische Comedian hier angegangen wird.
Ich kann mir keine andere Online-Community vorstellen, bei der solche Nachrichten (die kein Einzelbeispiel sind) nicht zu enormem öffentlichen Druck führen würden. Aber das K-Pop-Fandom ist so riesig, dass sie im besten Fall ignoriert und im schlechtesten sogar verteidigt werden.
Eine Verteidigung unter einem von Shahaks Tweets (absichtlich ohne Link):
Dude. Das ist das größte Fandom auf der Erde. Of course gibt es da Idioten und Faschisten und Leute, die sich fehlleiten lassen. Das wird aber bei weitem nicht der größte Teil sein und das Fandom als Monolith darzustellen, find ich ziemlich fragwürdig.
Liebe Leute, wir sind jetzt an dem Punkt angekommen, an dem Nazi-Propaganda innerhalb eines Fandoms mit dem Argument verteidigt wird, der Großteil würde keine Nazi-Propaganda verbreiten.
Anmerkung der Autorin des gerade zitierten Tweets, die sich in einer sehr freundlichen Nachricht bei mir gemeldet hat:
Ich möchte darauf hinweisen, dass ich Antisemitismus, Rassismus und Todesdrohungen verurteile, egal von wem es kommt. Ich relativiere und verteidige mit meiner Aussage keine "Nazi-Propaganda", sondern kritisiere Shapira dafür, dass er unüberlegt einen kleinen toxischen Teil des Fandoms als das gesamte Fandom darstellt, dass mit einfachen Mitteln in seiner Gänze für Hass missbraucht werden kann.
Und auch solche Relativierungen sind, natürlich, kein Einzelfall. Andere Schönheiten, die ich in den letzten Tagen gelesen habe: Die Drohungen gegen Matuschiks Familie würden gar nicht existieren, sondern wären nur eine PR-Lüge (sind sie nicht). Und Shahak habe es verdient, antisemitisch beschimpft zu werden, denn er habe angefangen.
All das geht unter. Verständlicherweise. Weil es nicht die Haupt-Story ist. Weil es natürlich nicht den Großteil der BTS-Fans repräsentiert. Weil sich zum Glück auch viele K-Pop-Influencer klar gegen Drohungen aussprechen.
Trotzdem: Die weitgehend positiven Schlagzeilen, die das K-Pop-Fandom in den letzten Monaten und Jahren erzeugt hat, blockieren eine differenziertere Auseinandersetzung mit den Schattenseiten. Menschen, die sonst sehr skeptisch mit einem solchen Phänomen umgehen würden, lassen davon ab, weil es im Großen und Ganzen “auf der richtigen Seite” steht. Oder aber, weil sie Angst haben, selber zur Zielscheibe zu werden.
Ich mag BTS. Ich liebe Fandom. Ich habe selber jahrelang Zeit auf Popkultur- und Doctor Who-Message Boards verbracht. Aber gerade deswegen weiß ich, wie unangenehm und toxisch die Dynamiken dort werden können. Und alles, was jetzt auf Twitter passiert, erinnert auf sehr ungute Weise an das, was vor ein paar Jahren auf Tumblr passiert ist - und schließlich eine der maßgeblichen Autorinnen dazu brachte, sich von dem was sie dort getan hat, komplett zu distanzieren.
Das K-Pop-Fandom ist in weiten Teilen zu unreflektiert, zu leicht manipulierbar und für meinen Geschmack auch zu sehr an den ökonomischen Interessen von Medienkonzernen interessiert. Es ist in kleinen Teilen toxisch, rassistisch und gefährlich. Natürlich finden sich viele dieser Probleme auch in anderen Nischen von Stan Twitter. Aber das K-Pop-Fandom ist das größte seiner Art und meiner Erfahrung nach auch das am besten organisierte.
Niemand, der diesen Text liest, hat die Macht, das zu ändern. Aber K-Pop-Stans undifferenziert abfeiern und den Diskurs nach ihnen richten? Ist spätestens nach dieser Woche keine gute Idee mehr.
Memefried
Was gibt mir Halt in unserer dummen, dummen Welt?
Diese Woche hauptsächlich die Wahlplakate von Baden-Württembergs Oberopa Winfried Kretschmann.
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