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Wie parasoziale Beziehungen dich reich machen können (wenn du berühmt bist)
Influencer monetarisieren sich selbst stinkreich +++ GameStop 2 Electric Boogaloo +++ Die Traumdatenbank
zum ersten mal seit es diesen newsletter gibt mache ich sowas wie self-promo :)
für die radio-reihe “zündfunk generator” habe ich letzte woche eine einstündige sendung über die meme-economy, /r/wallstreetbets und den gamestop-hype gemacht. es beginnt als eine geschichte über die börse (we stan) und endet als eine geschichte über memes im der zeitgeschichte.
hier oder auf allen gängigen podcast-playern (außer auf spotify leider) könnt ihr die sendung hören. :)
on with the show:
Parasocial macht Para
Wenn ich irgendwann in fünfzig Jahren Fielmann-Werbung-mäßig gebeten werde, auf mein Leben zurückzublicken, werde ich einen Punkt identifizieren, den ich anders hätte machen sollen:
Ich hätte um 2014 herum alles daran setzen müssen, internet-famous zu werden. Egal wie.
Der Grund: Ich würde heute Cash machen wie blöd.
Durchschnittsverdiener oder Schülerinnen spenden auf Twitch jeden Tag massenhaft Geld an Streamer und Streamerinnen, die sehr viel mehr Geld haben als sie. Irgendwer hat Logan Paul das Blockchain-Besitzrecht für Logan-Paul-gebrandete digitale Pokémon-Karten abgekauft - für über fünf Millionen Dollar. Fitness-Influencerin Pamela Reif verkauft jetzt eigene Fitness-Riegel, die trotz katastrophalem Geschmack (sagt eine gute Freundin von mir) überall instant ausverkauft sind.
Die Festigung von Influencerinnen als Teil unseres täglichen digitalen Konsums, plus die (für die meisten Menschen) gute Wirtschaftslage, plus die bessere Verfügbarkeit von einfachen Online-Geld-Transaktions-Methoden haben eine Welt geschaffen, in der man als erfolgreiche Person im Netz eigentlich nur einen Jutebeutel aufhalten muss und nach ein paar Minuten liegt da mehr Geld drin als viele Menschen im Monat verdienen. Diese Welt ist noch neu - sie wird die 2020er-Jahre auf eine Art und Weise bestimmen, die wir bisher vielleicht noch gar nicht wirklich begreifen können.
All diese Monetarisierungs-Methoden sind getrieben von der Kraft parasozialer Beziehungen. In den frühen Jahren der modernen sozialen Medien herrschte noch die Annahme, Twitter und Instagram würden Stars nahbarer machen, flachere Hierarchien zwischen Fans und Promis schaffen und auch mehr “Normalos” zu Internet-Stars machen. In gewisser Weise ist das passiert, aber was die wirklichen Megastars angeht, ist überhaupt nichts nahbares an ihnen. Pamela Reif ist das beste Beispiel. Die Frau wird von ihrem Account quasi als Übermensch inszeniert, macht wortlos Stretch-Übungen auf einem Boot im Mittelmeer während der Rest Europas im Lockdown sitzt und baut damit eine gigantische Marke auf.
Es ist gerade diese Unnahbarkeit, die sie für ihre Fans interessant macht. Die “15 Minutes of Fame”, die Andy Warhol versprochen hat, sind mittlerweile die 5 Sekunden, die ein Instagram-Story-Post dauert, in der eine junge Frau zeigt, dass sie Pamelas neue Riegel gekauft hat und total lecker findet, in der Hoffnung, dass der offizielle Pamela Reif-Account den Post übernimmt und selbst in die Story postet. Das Ungleichgewicht ist erdrückend. Fans von großen Influencer-Accounts geben mittlerweile jede Menge Geld aus, um das Gefühl zu bekommen, von ihren Influencer-Ikonen wahrgenommen zu werden, sie investieren Zeit in perfekte Social Media Posts. Und auf der Gegenseite steht nur ein geschäftlich geführter Account, der das Ganze entweder repostet oder ignoriert - beides im Rahmen von nur wenigen Sekunden.
Das Spannungsfeld zwischen immer absurder werdenden Influencer-Lifestyles und der inszenierten Authentizität von Insta-Storys und Twitch-Streams hält die Influencer Economy am Laufen, und generiert immer mehr freiwillige Umverteilung von einer Art modernen Konsum-Mittelschicht in eine Art Influencer-Oberschicht. Der letzte Auswuchs hiervon ist NewNew, ein neues Social-Startup, das letzte Woche von Taylor Lorenz in der New York Times vorgestellt wurde. NewNew wird von seiner Gründerin als “menschlicher Aktienmarkt” beschrieben. Jap. Wirklich.
On the app, fans pay to vote in polls to control some of a creator’s day-to-day decisions.
For example, a creator can use NewNew to post a poll asking which sweater they should wear today, or who they should hang out with and where they should go. Fans purchase voting power on NewNew’s platform to participate in the polls, and with enough voting power, they get to watch their favorite influencer live out their wishes, like a real life choose-your-own-adventure game.
Mir sind bisher vor allem zwei Arten von Reaktionen auf diese Firma aufgefallen: 1. Angst vor einer dystopischen Hölle, in der jede Sekunde des Lebens einer Influencerin monetarisiert wird (valid) und 2. Spott über ein angeblich lächerliches Geschäftsmodell.
Bei letzterem wäre ich mir nicht so sicher.
In vielen Twitch-Streams existiert dieses Geschäftsmodell jetzt schon, teilweise nur implizit. Manche Streamerinnen fragen ihr Publikum, was sie anziehen sollen und richten sich nach der Meinung der Fans, die am meisten gespendet haben. Jeder, der Geld gibt, wird namentlich erwähnt - je mehr Geld, desto mehr Raum wird der Person gegeben. Für Fans ist es eine Gelegenheit, sich den Subjekten ihrer Faszination nahe zu fühlen, auch wenn die Bezahlung die Distanz zwischen den beiden nur noch verschärft. Weil es keine echte soziale Beziehung ist. Es sind leere Kalorien.
In einem längeren Video über parasoziale Beziehungen zwischen Fans und Videomacherinnen erzählt die YouTuberin Sarah Z von ihren eigenen Erfahrungen mir parasozialen Beziehungen. Im folgenden Beispiel spricht sie darüber, dass sich viele Fans nach Stunden von Videokonsum so vertraut mit ihr fühlen, dass sie sie online wie eine Freundin behandeln.
This sort of playful overfamiliarity can take a lot of forms; one of them is “jokingly”
using degrading terms that friends might playfully call each other, without realizing that in the absence of that context, it simply comes off as rude. For example, I’ve had people call me a bitch online because they don’t like the way I hold a tea mug. Is it possible that this person is just really defensive over tea and is being an asshole on purpose? Yeah, maybe. […] But I can’t help but feel it’s the case, at least in some of these interactions, that the people talking to me are genuinely trying to become my friend.
Sarah Z - eine fantastische YouTuberin und, nach allem was ich weiß, vorbildliche Internet-Persönlichkeit - hat sich angewöhnt, in solchen Fällen bewusst auf Distanz zu gehen. Menschen, die zu nah kommen wollen, klar zu machen: Wir kennen uns nicht. Es ist für sie auch ein Stück Selbstschutz - schließlich haben jede Menge Creator mit Stalkern und Belästigung zu kämpfen. Aber es ist auch eine Anerkennung des Machtgefälles zwischen Influencer und Fan.
Das Verhalten von Sarah Z ist nicht der Regelfall. Auf der ganzen Welt haben Marketing-Brands und Influencer erkannt, dass man dieses Machtgefälle auch monetarisieren kann, anstatt Fans darauf hinzuweisen.
Parasocial macht Para. Willkommen in der Economy der 20er-Jahre.
Gamestart again
Ich schreibe diesen Text kurz, nachdem der Aktienpreis für GameStop auf den höchsten Stand seit Januar 2021 gesprungen ist. Wenn euch jemals jemand erzählt, das Internet hätte nichts mit der “echten Welt” zu tun, zeigt einfach diese Grafik:
Aber was ist das?
Ist es etwa…
erneut Werbung für meine Feature-Sendung zum Thema “Meme-Economy”?
Ja, ist es. Ich will mich nicht umsonst vier Wochen lang durch Internetforen und Börsentheorie gegraben haben.
Dreambank
Web-Fund:
Zwei Psychologen betreiben seit Jahren die “Dreambank” - eine (sehr nach Web 1.0 aussehende und schwer bedienbare) Website, in der sie über 20.000 Berichte von Träumen sammeln - offiziell für Corpus- und andere Analysen, inoffiziell für Internetwanderer wie mich, die an einem regnerischen Nachmittag hunderte Traumtagebucheinträge lesen können, ohne erklären zu können, warum das so viel Spaß macht.
Mein Lieblings-Eintrag, von einer 19-jährigen Amerikanerin:
The sun was doing to die and then we were going to get a new, lesser one. It was happening today. We weren't really worried. Mom and Darren were with me and we were looking out the window to check every now and then. The last movie I watched was called 'Last Day on Earth'. Dad watched this new sci-fi show. There was a new one starting soon with Brad Pitt in it and I wondered what he was doing on TV. I looked outside and it was pitch black. We were like 'it's so weird, I didn't know what to expect'. We checked a few minutes later and I saw a ball of fire (the sun) and then nothing -- we died.
Außerdem
Auf TikTok zelebrieren Kids ihre Nostalgie für die “original quarantine” letzten März. Bitte, Impfung, bitte. Ich kann nicht mehr.
Reddit-Post: Wie es ist, als Frau auf Tinder zu sein
QAnon-Anhänger versuchen uns (und sich selbst) weiszumachen, dass es “QAnon” gar nicht gäbe. Weitere Erinnerung, dass der Laden eine Sekte ist.
Der Scam hinter 5-Minute-Craft-Videos auf YouTube
Bienenrettung auf TikTok
Kein Plot einer neuen Netflix-Sitcom, sondern genauso passiert: Amerikanische Mutter will ihre Tochter ins Cheerleading-Team boxen, indem sie verfängliche Deepfakes ihrer Rivalinnen erstellt und verbreitet
Das Meme
bis bald! und hört meine sendung!
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