

Discover more from cool genug
du liest cool genug, in der ersten ausgabe im jahr 2022. wenn du etwas an diesem text interessant findest, denk an mich und empfehle diesen newsletter gerne weiter:
Sieben Tech-Vorhersagen für das Jahr 2022
Ich liebe Predictions. Am besten möglichst genau und falsifizierbar. “Was für Trends siehst du im nächsten Jahr auf uns zukommen?” ist in der deutschen Medienlandschaft zu einer beliebten Abschlussfrage für Podcastgäste geworden — das finde ich zwar super, noch besser wäre es aber, sie an den Anfang zu packen. Dann wüsste man direkt, ob der Rest des Gesprächs unterhaltsam wird oder vorhersehbar. For the record: Eine schlechte Antwort ist “Nun, wir sehen ja jetzt schon den Trend zu [neue Technologie], aber ich glaube, auch [alte Technologie] wird nächstes Jahr noch eine Rolle spielen.” Eine gute Antwort ist “a Bored Ape runs for Congress” (zitiert aus dem Predictions-Newsletter von Casey Newton).
Eigentlich wollte ich diesen Text gar nicht wirklich schreiben.

Aber jetzt ist es zu spät, der Text existiert und einstampfen werde ich ihn auch nicht mehr. Happy new year.
Disclaimer: Die Vorhersagen sind größtenteils im Futur I geschrieben, weil sie so lustiger zu lesen sind und niemand Bock auf Konjunktive hat. In Wahrheit bin ich mir bei keiner der Prognosen auch nur im Ansatz sicher, dass sie Wahrheit werden. Das hier ist Spekulation. Aber sie sollte Spaß machen. Deswegen Futur I.
1. Ein größeres Unternehmen wird mit NFTs arbeiten und sie dafür umbenennen
Ich glaube, wir werden im Jahr 2022 sehen, wie Kryptotechnologie es weiter in den Mainstream schafft. Allein das ist aber keine eigene Vorhersage wert, es gibt eine Menge Leute, die das sagen.
Was vielleicht noch etwas unter dem Radar fliegt, ist die Möglichkeit, dass Tech-Unternehmen und -Startups das Zukunftspotential der Blockchain nutzen wollen, sich aber gleichzeitig bewusst darüber sind, was für einen PR-Albtraum es bedeuten kann, wenn man öffentlich ankündigt, Kryptotech in ein bestehendes Produkt einzubauen. Über diesen Konflikt habe ich vor einem Monat einen längeren Text geschrieben:
NFTs sind dafür ein sehr gutes Beispiel. Die Idee dahinter macht absolut Sinn: Universell anerkannte Besitzrechte für den digitalen Raum sind ein fantastisches Konzept, das bald so selbstverständlich sein könnte, dass wir uns fragen werden, wie wir je ohne konnten. “NFT” ist aber 1. ein lausiger Name, der klingt wie ein örtlicher Tennisclub und 2. in den Augen sehr vieler Menschen mittlerweile untrennbar mit absurden “Kunst”-Spekulationen und Blockchain-Bros verbunden.
Irgendwer wird dieses Jahr den Nutzen in der Technologie sehen (vielleicht sogar eine Allianz aus mehreren Unternehmen) und sich bewusst dagegen entscheiden, den Hype-Begriff NFTs dafür zu benutzen. Und die Idee wird gar nicht so blöd sein.
2. Die digitale Infrastruktur der Verschwörungsecke bekommt ein Upgrade
Aus beruflichen Gründen verbringe ich immer mal wieder ein bisschen Zeit in Schwurbler-Telegram-Gruppen. Das macht mich zum Außenseiter: Viele Menschen, die dort Mitglied sind, verbringen dort mehrere Stunden täglich. Und es ist nicht so, als würde diesen Menschen ein besonders tolles Nutzererlebnis geboten. Die Online-Welt eines Verschwörungstheoretikers ist ein Geschnipsel aus hundertfach weitergeleiteten Videos, die den ganzen Gruppenchat vollstopfen, aus obskuren Blogs und YouTube- und Facebook-Links, bei denen man nie weiß, ob sie in ein paar Stunden wieder offline sein werden.
Das Internet der Verschwörungstheoretiker erinnert mich immer wieder an das normale Internet vor circa zwanzig Jahren — schwer zugänglich und schwer monetarisierbar.
Die schiere Masse an Schwurblern wird aber irgendeinen Unternehmer irgendwo dazu bringen, das zu ändern. Ich meine nicht, dass einfach jemand ein Facebook nur für Trump-Fans baut — das versucht schließlich alle zwei Monate jemand und bisher hat es noch nie funktioniert.
Aber es werden einige moralfreie Unternehmen aggressiv versuchen, die vielen extremistischen Datenströme in Deutschland und der Welt zu monetarisieren, mit immer besserer Infrastruktur und Technologie. So wie sich die antidemokratischen Kräfte in der deutschen Politik in der AfD konsolidiert haben, werden die antidemokratischen Kräfte im Netz sich auch in einer oder mehreren digitalen Plattformen konsolidieren, die dann short-hand werden für den ganzen digitalen Schwurbler-Raum. Unmöglich, dass dieser Prozess 2022 schon “abgeschlossen” sein wird. Aber es wird damit angefangen.
3. “FUD” wird ein neues Jugendwort
Das hier ist eine Fun-Vorhersage: Jedes Jahr gibt es ein oder mehrere blöde Internet-Begriffe, die auf einmal auch in der Offline-Welt auftauchen und dort teilweise völlig neue Wege nehmen. Es gibt zwar null Möglichkeiten, das zu wissen, aber ich tippe einfach mal wild darauf, dass das dieses Jahr mit “FUD” passieren wird.
“FUD” steht für “Fear, Uncertainty, Doubt”. Der Begriff kommt aus der Blockchain-Szene. Dort bezeichnet man damit alles, was sich gegen das eigene Erfolgsnarrativ stellt. Kritik, Verbesserungsvorschläge, Bedenken... Alles nichts mehr wert, sobald es als FUD gebrandmarkt ist. Denn in vielen Krypto-Ecken wird aktiv dazu aufgerufen, jede Art von FUD loszuwerden. Bisschen wie bei einer Sekte halt.
Das Phänomen “Ich ignoriere alles, was nicht in mein Schema passt” genießt aber natürlich Beliebtheit weit über die Blockchain-Welt hinaus. Multi-Level-Marketing-Schwindel, Motivationscoaches, Fans von Popsängerinnen und Film-Franchises... Sie alle könnten zu regen Usern des Wortes “FUD” werden — wenn sie nur erst davon erfahren.
4. Meta lässt Facebook fallen
Als ich im Oktober 2021 im Bayern 2-Podcast Tagesticket zu Gast war, habe ich etwas gesagt, dass aus heutiger Sicht schlecht gealtert. Es ging um die Namensänderung von Facebook zu Meta. Ich verwies darauf, dass auch Google sich vor einigen Jahren offiziell in eine Holding namens Alphabet umbenannt hatte, aber man immer noch ganz selbstverständlich über das Unternehmen Google spricht. Das stimmt zwar — aber mittlerweile ist klar, dass es bei Meta anders ist: Mark Zuckerberg meint das wirklich ernst.
Meta ist eben wirklich deutlich mehr als nur Facebook. Es ist natürlich Instagram und WhatsApp, es ist aber vor allem Oculus und jede Menge spannende Tech re: Metaverse.
Natürlich möchte Mark Zuckerberg lieber Chef eines Unternehmens sein, dass die Zukunft baut als Chef eines Unternehmens, das sich seit Jahren in endlose Skandale verstrickt. Und nun, da seine Firma nicht mehr den Namen der toxischsten Social-Plattform von allen trägt, wird die Versuchung groß sein, Facebook — zumindest ein Stück weit — fallen zu lassen.
Facebook hat gigantische Moderationsprobleme, ist voller Verschwörungstheorien, fördert Extremismus und gefährdet Demokratien weltweit. Das war ein Problem, als Zuckerbergs Unternehmen noch Facebook hieß (wenn auch kein großes, den Aktienkursen ging es meist gut). Und zu Facebooks Credit wurde einiges zur Bekämpfung der größten Probleme dort getan. Aber nun ist Zuckerberg Chef von Meta, nicht von Facebook. Und da wird die Versuchung groß sein, weniger Ressourcen und PR in Facebook zu stecken, und stattdessen einfach immer mehr über spaßige VR-Sachen zu sprechen. Die Folge: Facebook würde noch schlimmer als es jetzt schon ist.
Ich hoffe, dass ich falsch liege.
5. Eine fiktionale TikTok-Serie macht Welle
TikTok ist mittlerweile das kulturelle Nervensystem der Erde. Die Anzahl der Popkulturphänomene, die es zum Erfolg schaffen, ohne dabei die Schranken des TikTok-Supports zu passieren, wird immer kleiner. Die Ausnahme, bisher: Filme und Serien.
Es gibt jetzt schon Versuche, Fiction auf TikTok zu machen — teilweise gut, teilweise weniger. Und ich habe 2021 schon darüber geschrieben, wie fiktionales Erzählen auf TikTok aussehen kann:
Damals habe ich versprochen, das sei “erst der Anfang”. Meine Prognose: 2022 kommt der erste Main Act, und wir werden die erste fiktionale Story auf TikTok sehen, die auch für Gesprächsstoff außerhalb der Plattform sorgt.
6. Ethereum wird größer als Bitcoin
Das ist mit Abstand meine dümmste Vorhersage. Deswegen steht sie auch so weit unten. Ich kann mir kaum ein Szenario vorstellen, in dem ich irgendwann auf diesen Text zurückblicke und denke “Die Nummer 6 zu schreiben, das war eine richtig gute Idee”. Aber fuck it, here we go.
Ich glaube, Ethereum wird sich im Jahr 2022 als die ernstzunehmende Blockchain durchsetzen, und damit genau das richtige Timing haben, denn es wird das erste Jahr sein, in dem man eine ernstzunehmende Blockchain braucht.
Zu Ethereum, Bitcoin und allen anderen Coins kann man ganze Bücher füllen (und es gibt Leute, die das tun), aber hier ganz simpel zusammengefasst für die, die sich nicht auskennen:
Bitcoin ist eine Blockchain für Zahlungen mit Kryptowährungen. Etwas anderes kann Bitcoin nicht, und soll es auch nicht. Als “originale” Blockchain gilt Bitcoin als besonders verlässlich, und wird von “Bitcoin-Maximalisten” als die einzig relevante Blockchain gesehen. Gerne bezeichnen diese Bitcoin als digitales Gold — ein Wertspeicher, der durch seine Geschichte und Tradition an Wert gewinnt.
Ethereum ist eine Blockchain mit Fokus auf Kooperation, Weiterentwicklung und Anpassungsfähigkeit. Zwar kann man auch mit Ethereums Kryptowährung Ether Zahlungen durchführen, aber man kann mit Ethereum noch sehr viel mehr machen: DAOs, NFTs, Smart Contracts, usw. Anders als Bitcoin wird Ethereum aktiv gestaltet und weiterentwickelt, wobei die Ethereum Foundation eine wichtige Rolle spielt. Außerdem hat sie ein prominentes Gründergesicht in der Form von Vitalik Buterin, der gerne mit Jimmy Wales, dem Gründer von Wikipedia verglichen wird. Ethereum-Fans sehen in Ethereum einen möglichen Grund-Standard für die Zukunft des Web. So wie HTML und andere Standard-Protokolle den Weg für verschiedenste Websites und Geschäfte im Web 1.0 ermöglicht haben, könnte Ethereum das für das Web3 tun (das Web 2.0, in dem wir uns noch befinden, ist dominiert von abgeschlossenen Räumen wie Facebook und Google).
Ethereum könnte 2022 einiges an guter Presse bekommen — insbesondere wenn die Blockchain den Umstieg auf “Proof of Stake” schafft, wodurch sie sehr viel weniger Energie als Bitcoin verbrauchen würde. Und gute Presse braucht man, wenn man die Zukunft des Internets gestalten möchte. 2022 könnte das Jahr sein, in dem sich die Weichen dafür stellen — und ein starkes Ethereum ist das beste Szenario, was wir aktuell haben.
Disclaimer: Ich halte selbst eine (nicht allzu große) Quantität Ether.
7. Macht euch bereit für die Ethik-Diskurse der virtuellen Realität
Augmented Reality und Virtual Reality werden auch 2022 keine wahren Massentechnologien werden. Aber sie werden eine deutlich größere Rolle spielen als die letzten zwei Jahre. Und damit kommen die großen Fragen der VR- und AR-Ethik:
Darf man Leute mit einer AR-Brille heimlich filmen? Wo beginnt im virtuellen Raum sexuelle Belästigung? Ist es Blackfacing, wenn eine weiße Person in VR einen schwarzen Avatar auswählt? Ab welchem Alter ist virtuelle Realität nicht mehr jugendgefährdend? Wer besitzt die digitalen Abbilder von real existierender Street Art im Metaverse?
Und so weiter.
Außerdem
Tolle Spiegel-Titelstory, die das Leben eines heute geborenen Kindes nachzeichnet, inklusive Metaverse. Großartiger Text, leider nur im Abo. spiegel.de
Wie ein Internet-Shutdown funktioniert — und was er für die Bevölkerung bedeutet. Fantastisch erzählte Story aus dem Sudan. restofworld.org
Ein Doja Cat-Musikvideo, mit dem man Coden lernt. dojacode.com
Was ist “Aesthetic Vlogging”? techcrunch.com
Wenn man einen Dollar für jede Website bekommen würde, mit der man versehentlich ein Auftragskiller-Business startet, hätte dieser Mann einen Dollar. theguardian.com
Wie afrikanische Flüchtlinge Bitcoin nutzen. techcrunch.com
Spannender Überblick über die Podcast-Branche im Jahr 2022, und ein guter Wegweiser, wo sie aktuell steht. theverge.com
Eine neue Religion entsteht im Internet — getränkt in Verschwörungstheorien und Astrologie. vox.com
Der vermutlich unnötigste Link, der je in einer Ausgabe cool genug zu finden war: Diese Website hilft das Finden von Geschenkideen mithilfe eines kleines Persönlichkeitstests, und bei Gott, die Ergebnisse sind wirklich gar nicht übel. Und wann bekommst du diesen Link? Zwei Wochen nach Weihnachten. Gern geschehen. wtfdotheywant.com
Lästerschwestern ist einer der besten deutschen Podcasts, der mir noch mehr bedeutet, seit ich letztes Jahr selbst ein bisschen am Produkt mitwerkeln konnte. Wenn es dir noch nicht zu spät für einen etwas anderen Jahresrückblick ist, sehr warme Empfehlung des großen Läster-Rückblicks 2021: spotify.com
Die gute Seite
Dieses Video fügt die Joe Rogan-Interviews mit Elon Musk und Bernie Sanders zu dem einen Interview zusammen, das ich sehen möchte.
🔮,