Leute auf Twitter zwingen Warner Bros zum Drehen eines 70 Mio-Dollar-Films
#ReleaseTheSnyderCut +++ Diese App ist das Clubhouse der Foto-Apps (wirklich jetzt)
hallo!
mittlerweile lesen schon eine gar nicht so kleine zahl von tollen leuten diesen newsletter - deswegen die erinnerung/der aufruf:
ich freue mich über jede form der nachricht - themenvorschläge, vernichtende beleidigungen oder andere gedanken. geht auch sehr einfach - z.b. einfach als antwort auf diese email. oder auf twitter. oder per icq.
Das tapfere Snyderlein
Oberhalb verlinkt ist der Trailer für den “Snyder Cut”, den Director’s Cut des DC-Superhelden-Films Justice League aus dem Jahr 2017. Mitte März wird die vier Stunden lange Version des Films auf dem Streamingdienst HBO Max landen. Wer das gucken will, wird es gucken können, wer sich nicht dafür interessiert, muss es nicht.
Alles erledigt?
Leider nein.
Die bloße Existenz dieses Films ist eigentlich unglaublich bescheuert - und ein beispielloses Internet-Phänomen. Aber was hat das Studio Warner Bros hier eigentlich getan?
Hier eine Einschätzung dazu:


Hier eine andere:
Ich persönlich sympathisiere mit letzterem Tweet.
Also:
Die Geschichte beginnt mit Zack Snyder - Regisseur von Watchmen, 300 und Sucker Punch. Vor allem aber von Batman v Superman: Dawn of Justice aus dem Jahr 2016 - ein Film, der (Meinung!) in etwa so unterhaltsam und farbenfroh ist wie des Nachts durch ein übelriechendes Moor zu waten - und außerdem (Nicht nur Meinung, objektiv!) eine der größten finanziellen Enttäuschungen der jüngeren Blockbuster-Geschichte war. Kaum jemand mochte diesen Stinkefilm (Forbes-Kritiker Scott Mendelsohn: “It will hurt your brain and break your heart”).
Schuld daran war hauptsächlich Regisseur Zack Snyder selbst, dessen Superhelden-Inszenierung sehr trostlos, deprimierend und wichtigtuerisch aussieht. In der gleichen Welt, in der die Marvel-Filme mit farbenfrohen Visuals und tollen Heldenfiguren einen Kassenrekord nach dem anderen brachen, hielt Warner Bros es vor ein paar Jahren für eine gute Idee, Batman und Superman einem Typen zu übergeben, der über Christopher Nolans Dark Knight-Trilogie sagte: “He doesn’t, like, get raped in prison. That could happen in my movie.”
Trotz der vernichtenden Reaktion auf Batman v Superman wurde Zack Snyder von Warner Bros weiter beschäftigt - und zwar für die Fortsetzung des Films, Justice League, die das Durchs-Moor-Waten-Feeling direkt fortführen sollte: Jetzt nicht mehr nur mit trostlosen Batman und Superman, sondern auch mit trostlosem Flash, Wonder Woman und Aquaman. Allerdings - und jetzt wird’s dramatisch - stellte Zack Snyder diesen Film nie fertig. Im Frühjahr 2017, ein halbes Jahr vor Veröffentlichung, kam es zu umfangreichen Nachdrehs, an denen Snyder nicht mehr beteiligt war. Diese Nachdrehs, durchgeführt von Avengers-Regisseur und Buffy-Schöpfer Joss Whedon, waren sehr viel heiterer und bunter als das was Zack Snyder vorhatte.
Der Film Justice League, der Ende 2017 in die Kinos kam, war also zur Hälfte Zack Snyder-Finsternis und zur Hälfte Marvel-inspirierte Heiterkeit. Er wurde von der Kritik etwas besser aufgenommen als Batman v Superman, doch das Publikum, wohl noch vom Vorgänger traumatisiert, blieb weg. Justice League war an den Kinokassen ein gigantischer Flop, alle geplanten Fortsetzungen wurden gestrichen, und Zack Snyder von allen geplanten DC-Verfilmungen entfernt. Zack Snyders Superhelden-Filme waren von der Kritik verhöhnt. Sie waren vom breiten Publikum abgelehnt.
Aber.
Innerhalb der DC-Fangemeinde bildete sich ein Fankult um Snyders Filme. Leute, die die Finsternis von Batman v Superman liebten, den konfusen Plot feierten und Zack Snyder als nihilistischen und deepen Genie-Regisseur feierten.
Und in diesem Fankult wuchs schon bald ein Gerücht: Es existiere eine andere Version von Justice League, ein Director’s Cut ganz nach Zack Snyders ursprünglicher düsterer Vision. Die Kampagne #ReleaseTheSnyderCut war geboren.


Die Ausmaße, die #ReleaseTheSnyderCut auf Social Media annahm, müssen für Leute außerhalb der Comicnerd-Bubble vollkommen bizarr wirken. Für über zwei Jahre wurde jedereinzelneTweet von Warner Bros Pictures mit #ReleaseTheSnyderCut-Drukos zugesemmelt. Wütende Fans versammelten sich, teilweise in Cosplay, zu einer “Demonstration” vor dem Warner Bros-Hauptgebäude. Ein Teil der Snyder-Enthusiasten wurde beleidigend und drohend. Auf YouTube entwickelte sich eine Art Subkultur von Snyder Cut-Influencern wie Tyrone Magnus, die mit teilweise täglichen Updates über den Stand der Kampagne berichteten.
Das Problem war nur:
Es gab keinen Snyder Cut. Nie. Das Gerücht, Warner Bros hätte einen quasi fertigen Schnitt von Zack Snyders Version des Films herumliegen und bräuchte ihn nur zu veröffentlichen, war Quatsch. Trotzdem waren tausende Fans im Netz davon überzeugt und verbrachten bis zu drei Jahre damit, kleinste Teaser und Hinweise zusammenzusuchen und ins Detail durchzuanalysieren.
Wem das bekannt vorkommt: Ja, das klingt alles durchaus ein bisschen wie die großen Verschwörungstheorie-Cliquen auf 4Chan und Telegram. #ReleaseTheSnyderCut ist natürlich überhaupt nicht mit QAnon vergleichbar und tut vor allem niemandem direkt weh. Trotzdem wird mir immer sehr unwohl, wenn Menschen im Netz sich gegenseitig im Glauben an nicht existierende Phänomene hochschaukeln - sei es eine jüdische Weltverschwörung oder ein Director’s Cut eines schlechten Superheldenfilms.
Aber das Irrste an #ReleasetheSnyderCut sind nicht die verrückten Aktionen oder der seltsame Gegenstand. Es ist, dass die Kampagne Erfolg hatte. Im Mai 2020 wurde bekanntgegeben, dass “Zack Snyder’s Justice League” 2021 auf Warner Bros’ neuem Streaming-Service HBO Max landen wird. Nur bedeutet das natürlich nicht, dass die Theorie mit dem fertigen Snyder Cut stimmte. Denn das Studio investiert noch einmal 70 Millionen Dollar in Nachdrehs und neue visuelle Effekte - der Film war also nie fertig, er wird nur nachträglich fertiggestellt.
Es folgt der Teil, an dem ich mich etwas aus dem Fenster lehne, da ich (nur falls das nicht erschöpfend klar war), nicht in Hollywood arbeite:
Rein wirtschaftlich macht der Snyder Cut eigentlich keinen Sinn. Zack Snyders DC-Filme wurden vom breiten Publikum (das einzige Publikum, das für einen großen Blockbuster zählt), mehrmals laut und deutlich abgelehnt. 70 Millionen Dollar in ein Eitelkeits-Projekt für einen gescheiterten Filmemacher investieren, nur weil ein paar Leute über zwei Jahre auf Twitter nervig genug waren, ist eine durch und durch bizarre Idee. Und trotzdem wird es gemacht.
Seit Fans, die vom Ende des Videospiels Mass Effect 3 enttäuscht waren, die Entwicklerfirma BioWare erfolgreich dazu brachten, 2012 ein neues Ende für das Spiel zu veröffentlichen, gehören Social Media-Kampagnen dieser Art zum Alltag der Entertainment-Branche. Genauso gibt es kaum noch einen Tweet des offiziellen Netflix-Accounts, unter dem nicht voller Inbrunst die Fortsetzung gecancelter Serien gefordert wird.
Aber in einer Zeit, in der eine Star Wars-Darstellerin durch eine Hate-Kampagne von Social Media vertrieben wird und das Spiel Cyberpunk 2077 u.a. wegen ungeduldiger Fans in unfertiger Form auf den Markt kommt, ist es vielleicht keine gute Idee, klein beizugeben. Warner hat mit dem Snyder Cut eine Fiktion Realität werden lassen, und das ist der Standard, an dem die Fans ihrer Franchises sie in Zukunft messen werden. Es könnte noch düsterer und noch ekliger werden. Mit anderen Worten: Unsere Welt könnte sich dadurch noch mehr anfühlen wie ein Zack Snyder-Film.
Dispo-Cito
“Diese App ist das Clubhouse der Foto-Apps”
Diese Überschrift könnt ihr nicht bei mir lesen (außer jetzt gerade halt), aber mit etwas Glück bald schon beim Netz-Ressort eures Vertrauens.
Es geht um Dispo - eine neue Foto-App, die den Look und die Handhabung einer alten Einweg-Kamera kopiert - inklusive automatischer Filter und Wartezeit, bevor man die “entwickelten” Fotos begutachten kann. Millenial-Ästhetik als Foto-App, endlich so fühlen, als wäre man in der NEON abgedruckt.
Der Clubhouse-Vergleich, der unweigerlich kommen wird, bezieht sich vor allem darauf, dass Dispo im Moment nur mit Einladung und auf iOS genutzt werden kann.
Tatsächlich geht das Ganze aber noch ein Stück weiter. Wie Clubhouse definiert sich Dispo vor allem dadurch, dass die App rein technisch gesehen schon vor ein paar Jahren hätten erscheinen können - es gab keine Software- oder Hardware-Neuerungen in den letzten Jahren, die einer solchen App den Weg hätten ebnen können (so wie Face-Filter für Snapchat oder die breite Verfügbarkeit anständiger Smartphone-Kameras damals für Instagram).
Stattdessen schnappen sich Clubhouse und Dispo die Infrastrukturen größerer Konkurrenten und streichen Funktionen heraus, machen sie simpler, spezifischer. In einer Welt, in der die Plattformen Twitch und Instagram immer größer und unübersichtlicher werden, übernehmen Clubhouse und Dispo deren wesentliche Funktionen, entfernen alles, was sie für Baggage halten, und verkaufen das Ganze als Lifestyle-Produkt an spezielle Zielgruppen: Tech- und Journalismusblasen im Falle von Clubhouse, ästhethik-orientierte Mitt-Zwanziger im Fall von Dispo.
Ich mag die Idee von Dispo übrigens etwas mehr - einfach weil die App angenehm locker und unpretentiös daherkommt und nicht gleich die Welt verändern will. So hat Snapchat auch mal angefangen - und ist heute die angenehmste der großen Social Media-Fratzen.


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Dieser Text über die Nutzung von Clubhouse in vier verschiedenen Ländern (Japan, Hong Kong, Indien, Nigeria) ist sehr gut
Und nun… das Meme
bis in vier jahren zum director’s cut dieses textes.
🩸,