Gen Z findet den Kapitalismus besser als du denkst
and that's okay
du liest cool genug, einen newsletter über digitale popkultur, der vor zwei wochen mit dem goldenen blogger in der kategorie “newsletter des jahres” ausgezeichnet wurde.
hier bin ich, peinlich berührt grinsend:


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Gen Z findet den Kapitalismus besser als du denkst
Wer erinnert sich noch an diese Grafik?
Es war einer der lustigsten Nebenplots nach der Bundestagswahl. Feuilleton-Beobachter in ganz Deutschland schlugen die Hände über dem Kopf zusammen und riefen folgende Sätze: “Warum wählen die Kids denn bitte FDP? Ich dachte, das wären alles Antifa-Aktivisten, die SUVs in die Luft jagen?”
Dabei war das eine Überraschung mit Ansage. Andere Wahlergebnisse in den Monaten und Jahren davor zeigten ähnliche Ergebnisse. Nur wurde das nicht medial abgebildet. Repräsentation junger Menschen in den Medien ist in den letzten paar Jahren fast ausschließlich darauf reduziert worden, dass man Fridays for Future-Aktivistinnen in Talkshows einlädt. Das hat logischerweise den Eindruck erweckt, “Gen Z” (d.h. die Generation im Alter von 10 bis 25) würde nur aus Fridays for Future-Aktivistinnen bestehen.
Aber natürlich ist Gen Z kein Monolith. Wie jede andere Generation besteht sie aus vielen Strömungen, Nischen und Trends, trennt sich auf nach Glaubens- und Interessengebieten, nach sozialer Herkunft und Perspektiven, nach Werten und Zielen.
Und es gibt Trends, die in der Klimakids-Wahrnehmung oft untergehen. Und das sind keine kleinen Sachen, sondern große Makrotrends.
Natürlich ist Gen Z auch durch Klimabewusstsein geprägt: Für Gen Z ist Klimaschutz schon allein aus Selbsterhaltungstrieb wichtiger als für die Generationen zuvor.
Aber noch ein Makrotrend:
Ich glaube, Gen Z ist eine kapitalistischere Generation als die ihrer Vorgänger. Und wie immer erkennt man das am besten im Internet.
Teil 1: Popmusik
Das hier ist nicht nur die erste Newsletterausgabe als Goldener Blogger-ausgezeichneter Newsletter, es ist auch die erste, in der ich Ulf Poschardt zitiere. Hurra.
Folgendes sagte der Welt-Chefredakteur und Ober-Liberale im Januar der Berliner Zeitung:
Man muss nur mal an die Schulen gehen, diese ganze Klima- und Veganaktivisten-Sause wird vor allem als Kultur der Lehrer wahrgenommen. Die coolen Kids gucken sich irgendwelche Hip-Hop- und Instagram-Videos von Lil Uzi Vert, Nicki Minaj & Kendall Jenner an. Ohne Instagram, amerikanischen Hip Hop und UK-Drill würde ich echt schwermütig werden. Kendall Jenner hat über 200 Millionen Fans auf Instagram, da kann die deutsche Spieß-Autoritäts-Untertanen-Mistkultur weiter vor sich hindümpeln. Wie so oft ist die Rettung des Westen: das Angelsächsische, Freiheitliche, Kapitalistische – Afroamerikaner mit Gesichtstattoos, bei denen jeder Satz ein Treffer ist.
Wie oft bei Poschardt ist dieses Statement mehr Edgelord als sein müsste. Aber da steckt durchaus etwas Interessantes drin. Die Ziele der linken Klimabewegung — Nachhaltigkeit, Rücksicht, Ressourceneinsparung — sind so ziemlich das genaue Gegenteil von dem, was die tonangebende Popkultur für die junge Generation ausmacht — Lärm, Geld, Verschwendung.
Man muss dafür nicht einmal in die USA schauen. Deutsche Jugendkultur besteht aktuell zu 50% aus Gangsterrap und zu 25% aus Twitch-Streamern, bei beiden geht es permanent um Exzess und gesellschaftlichen Aufstieg. (Ein Essay darüber, dass diese Aufstiegsgeschichten vor allem von Künstlern mit Migrationsgeschichte kommen und auch entsprechend in der nicht-biodeutschen Community super wichtig sind, kann ich leider nicht schreiben, würde ich aber sehr gerne mal lesen.)
Hier wäre z.B. ein Songtext Shirin David, im deutschen Hip-Hop aktuell sowas wie die “woke” Rapperin und auch beim linken Rad meines Freundeskreises super beliebt:
Meine Zehen sind weiß und der Booty ist nice
Seine Bitch sucht Streit, lieben wir
Treffe ihn um eins, keine Ahnung wie er heißt
Aber mh, er ist reich, lieben wir
Sie ist immer noch mad, ihre Storys sind wack
Ich seh aus wie ein Snack, lieben wir
Heute bin ich frech, aber morgen kriegt er Head
Weil er trägt meine Bag, lieben wir
Podcast-Host und alternder Millennial Lars Weisbrod, den ich hier viel zu oft zitiere, hat in seinem Podcast mal gesagt, er höre so gerne Deutschrap, weil Deutschrap ihn von seinem “falschen Postmaterialismus befreit” habe. Genau um solche Texte geht es dabei.
Hier unterscheidet sich Gen Z von ihren Vorgängergenerationen, den Millennials und Gen X: Deren Rebellenmusik bestand viel aus Konsumkritik. Es war Nirvana, das erste Wir sind Helden-Album, Green Day und Die Ärzte. Die Rebellenmusik früher sagte “Ich scheiß auf Geld”. Die von heute sagt aber: “Du kannst auf Geld gerne scheißen. Aber bitte triff dabei nicht meine Louis Vitton Bag.”
“Flexen”, d.h. das Angeben mit dem was man hat, ist ein so tief in die Jugendkultur eingegrabener Mechanismus, dass er mittlerweile sogar ästhetisch auseinanderdividiert wird — so landet man etwa bei Trends wie “Old Money”, ein Mode-Stil, der sich der selbstverständlichen Wohlstandsdarstellung orientiert, die man mit Familien verbindet, die schon seit Generationen stinkreich sind und es sich nicht erst frisch erarbeitet haben.
Das lustige am Old Money-Trend ist, dass er eine Art Gegenbewegung zum dominanten Hip-Hop-Streetwear ist. Trotzdem sind beide Bewegunge völlig vermögens-versessen: Streetwear mit Designermarken und exklusiven Sneakern, “Old Money” mit teuer wirkenden Stoffen, die aussehen sollen als wären sie nicht einmal gewaschen worden.

Man kann das für einen kurzlebigen Trend halten, aber es gibt genauso gut Anzeichen dafür, dass hier gerade ein tiefgreifender kultureller Shift stattfindet. Denn es ist nicht so, als würde Hip-Hop die Jugend beeinflussen. Eher andersrum: Diese Musik ist erfolgreich, weil sie der Gen Z zeigt, was die Gen Z will. Denn die nimmt finanziellen Erfolg anders wahr als die Millennials vor ihnen.
Es gab einmal eine Zeit, in der gab es nichts Uncooleres für eine Band als “Kommerz” zu sein. Es gab Riesendiskurse darüber, welche Musikerinnen ihre Instrumente selbst spielen, ob sie sich für den Mainstreamgeschmack anpassen oder ob sie “ihr eigenes Ding” machen.
Ein wichtiger Meme-Satz hierbei ist “I liked it before it was cool”. Dahinter steckt die Hipstermentalität, die für den coolen Teil der Millennial-Generation ziemlich wichtig und tonangebend war. Im Jahr 2010 zwischen Bon Iver, Tumblr und der letzten Lost-Staffel war die Person cool, die Dinge mochten, die selbst nicht cool waren.
Zeitgeschichtliches Dokument Nummer 1 hierzu: Dieses sehr old-schoolige Meme.
Zeitgeschichtliches Dokument Nummer 2: Der Song Meine Band des Rappers Alligatoah aus dem Jahr 2010. Ein Track über einen Typen, der seine frühere Lieblingsband jetzt nicht mehr ausstehen kann, weil sie die größte vorstellbare Sünde begangen hat: Kommerziell erfolgreich zu werden.
Sie haben sich verändert
Wer hat denn das erlaubt?
Es war doch meine Band, das
Hat mir den Tag versaut
Sie haben sich verändert
Wer hat denn das erlaubt?
Wie ich doch meine Band hass'
Weil jetzt die Masse lauscht
Dieses Mindset war in der Millennial-Generation weit verbreitet. Der Gen Z ist es so fremd wie Faxgeräte.
Kommerzieller Erfolg ist für junge Fans heute nichts Verkehrtes mehr. Im Gegenteil: Es ist etwas, für das man den Künstler feiert. Als vor einem Monat die britische Band Glass Animals ihren ersten No 1-Hit in den USA bekam, wurden sie von ihren Fans dafür ausgelassen gefeiert. YouTube-Comments zu noch unbekannten Songs sind oft voll mit Sätzen wie “This deserves 100 million views” oder “This deserves to be viral”.
Große Fandoms treiben das noch weiter, und arbeiten in organisierten Gruppen daran, Streams, Views und Likes ihrer Lieblings-Artists zu maximieren. Wenn eine K-Pop-Band es dann schafft, einen Rekord wie “Meiste Musikvideo-Views in den ersten 24 Stunden” zu brechen, sagt man als Fan nicht: “Die Gruppe hat den Rekord gebrochen.” Man sagt: “Wir haben den Rekord gebrochen.”
Bis jetzt habe ich zwar noch niemanden über Shirin Davids Chanel-Bags sagen hören, es seien “unsere Chanel-Bags”. Aber so weit hergeholt ist der Gedanke nicht.
Teil 2: Business
Viel von dem, was ich bisher beschrieben habe, zeigt die Gen Z im Kontext von größeren Gewerken: Fandoms und Followerschaften. Aber natürlich übersetzen sich diese Mechanismen problemlos die Arbeitswelt (in die die Gen Z jetzt gerade eintritt).
Gen Z ist eine Generation mit ziemlich lausiger Zukunft. Die Welt, in der sie entlassen wird, ist gezeichnet von Klimawandel und Krieg. Jemand, der heute 20 ist, wird einmal viermal so viele Rentner finanzieren müssen wie sein Großvater. Dass man sich darauf verlassen kann, dass zwischen den Generationen so etwas wie ein Verantwortungsaustausch stattfindet, wurde zuletzt während der Hochphasen der Corona-Pandemie widerlegt, als jungen Menschen monatelang alles verboten wurde, was Jungsein ausmacht, während sich für viele Ältere kaum etwas im Alltag änderte.
In einem Text für die New York Times sieht Journalist Kevin Roose in der Generation der Babyboomer (also den Eltern der Millennials) eine "Leitern-Generation": Schritt für Schritt, Sprosse für Sprosse zum Wohlstand. Für die junge Generation scheint dieser Weg heute unmöglich. Wohlstand, das ist die Ansage, wird von der Gesellschaft nicht geliefert. Man muss sich ihn selbst besorgen.
Also sucht die Jugend heute weniger oft nach einer Leiter und stattdessen nach etwas, das sie möglichst schnell möglichst weit nach oben bringen kann: Die Leitern-Generation wird abgelöst. Durch die Trampolin-Generation.
Deshalb ist das Internet voll mit “Komm in die Gruppe”/”Werde schnell reich”-Scams. Deshalb boomt auf einmal Finanz- und Vermögensaufbau-Content auf YouTube und Instagram, in seriös, und in unseriös. In den USA sagt mittlerweile mehr als die Hälfte der Gen Z, sie wolle eine eigene Firma gründen, und auch wenn diese Zahl im Beamtenland Deutschland sicher niedriger ist, wächst sie sicher auch bei jungen Menschen hier.
Diese Entwicklung hin zur “Generation Eigenverantwortung” hat ihre Schattenseiten. Viele junge Leute sind anfällig für Coaching-Fallen, in denen sogenannte Erfolgs-Coaches das letzte Ersparte aus ihren Kunden herauspressen, um ihnen Binsenweisheiten übers Ausbrechen aus dem Hamsterrad als große Erleuchtung zu verkaufen. Und Vertreter von Hustle Culture und FIRE-Bewegung propagieren, sich in jungen Jahren quasi totzuarbeiten, um dann irgendwann später die Früchte dieser Arbeit ernten zu können (was laut Finanzberater Gregor keine gute Strategie ist).
Gleichzeitig entsteht da aber gerade eine Generation, die sich ihrer finanziellen Schieflage bewusst ist und sich in Stellung bringt, um etwas dagegen zu tun. Es entsteht eine Generation mit mehr Tatendrang, Unternehmergeist und dem Wunsch, neue Dinge zu erschaffen. Das Internet bietet jungen Leuten Entfaltungsmöglichkeiten, die noch vor zehn Jahren undenkbar gewesen wären und lässt sie den einzigen Vorteil ausspielen, den sie gegenüber der älteren Generation haben: Sie verstehen, wie die neue Economy funktioniert. Weil sie sie selbst bauen.
In Rex Woodburys Text Gen Z Behaviors, den ich zu etwa 60 Prozent empfehlen würde, steht u.a. dieser sehr gute Satz:
Relative to Millennials, Gen Zs are more practical and less idealistic.
Ich glaube, genau das trifft es.
Das ist natürlich eine super übertriebene Zuspitzung und gilt natürlich nicht für jede einzelne Person überall. Aber die Gen Z ist in einer Ära des Internet-Individualismus großgeworden und strebt in Summe mehr nach individueller Erfüllung und Darstellung als ihre Vorgänger. Und dazu passt ein FDP-Jungunternehmer einfach besser als eine sozialdemokratische Lehrerin.
Ulf Poschardt (ja, ich zitiere ihn nochmal) hat in diesem Text einmal für den Liberalismus ein Maskottchen vorgeschlagen: Den Skateboardfahrer.
Die Idee des Skateboardens ist es, Hindernisse als Chancen zum Abheben zu nutzen, um Freiheit maximal zu erleben. […] Der Blick des Skateboarders auf den öffentlichen Raum beseelt die banale Realität mit seinen Nutzungsfantasien, die allesamt erfahren werden sollen. Für den Skater wie für den Liberalen gilt das Realitätsprinzip. Die Gegebenheiten, nicht die Ideale, sind die Startrampe der eigenen Weltanschauung.
Das ist eine gute Beschreibung einiger Makro-Trends der Gen Z. Viel deutet darauf hin, dass es Mitgliedern dieser Generation weniger darum geht, die Welt als Ganzes zu verändern, sondern vor allem, seinen Platz in ihr zu finden und das beste daraus zu machen. Und für sehr viele ist dieser Platz eben das Trampolin, das einen nach ganz oben führt. Wo einen jeder sehen kann. Mit den Designer-Sneakern, die zeigen, dass man es geschafft hat.
Further Reading:
Besitz und Status im Internet. coolgenug.de
Reddit, GameStop und die Zukunft der Menschheit. coolgenug.de
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