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Dieser Newsletter (langsam vorgelesen im Nebenzimmer)
Lil Nas X - Montero (Call Me By Your Name) +++ Toto in einem leeren Einkaufszentrum +++ Toxische Influencer-Fan-Beziehungen
ich hoffe, diese email findet euch wohl, wie die amerikaner zu sagen pflegen.
folgt diesem newsletter via coolgenug.de oder twitter.
Wie Lil Nas X seinen Song noch besser gemacht hat
Ich habe es versäumt, letzte Woche über Lil Nas X zu schreiben. Der Rapper, den ihr alle für “Old Town Road” kennt, ist seit seiner explosionsartigen Celebrity-Entwicklung weit mehr als ein One-Hit-Wonder: Er betreibt einen der lustigsten Twitter-Accounts, ist der höchstwarscheinlich erfolgreichste schwule Schwarze Musiker aller Zeiten - und seit anderthalb Wochen das Ziel eines Entrüstungssturms der Amerikanischen Rechten.
Grund ist das Musikvideo zu seiner neuen Single “MONTERO (Call Me By Your Name)” - eine irre Reizüberflutung von einem Clip, in dem Lil Nas X dorthin geht, wo man als schwuler Mann laut der christlichen Rechten in den USA hingehört: In die Hölle. Wo er dem Teufel einen Lapdance gibt. Es ist ein fantastisches Video, ein vermutlich beispielloses Pride-Statement in der amerikanischen Musikgeschichte und nebenbei ein ziemlicher Banger, so vom Song her.
Außerdem - als Teil einer Promoaktion - verkauft Lil Nas X 666 teuflische Sneaker, die angeblich jeder einen Tropfen menschliches Blut enthalten.
Und weil die Vereinigten Staaten kein Land sind, sondern zwei Länder in einem Pferdekostüm, von denen das vordere historischen Fortschritt, Innovationskraft und Impfleistungen an den Tag legt und das hintere die ganze Zeit versucht, den vorderen zu treten und über Kommunisten, Schwarze und Satan zetert, ist dieses Video seit fast zwei Wochen Headline-News in Fox News-Land. Eine republikanische Gouverneurin twittert, Lil Nas X’ Promo-Aktion sei Teil eines “Kampfes für die Seele unserer Nation”, gegen die das Christentum “gewinnen müsse”. Und sie ist eine der Harmloseren. (Die QAnon-Penner, neben denen die Querdenker in Deutschland bedenkenlos marschieren, denken übrigens genauso.)
Lil Nas X reagiert appropriately.


Soweit die Satansgeschichte.
Kommen wir zu etwas Schönerem.
Diese alternative Version von “Montero” gibt es seit einer Woche auf Lil Nas X’ offiziellem YouTube-Kanal. Sie zeigt uns das Standbild einer höllisch-roten öffentlichen Toilette - und der Song klingt dumpf und entfernt, wie als käme er aus dem Raum nebenan. Ich kann nur empfehlen, sich das Ding anzuhören (mit Kopfhörern!), es ist eine ziemlich spannende Ästhetik.
Lil Nas X hat diese Art von Remix nicht erfunden. Er - als quasi die personifizierte Schnittmenge aus Memekultur und Popmusik - bedient sich hier an einem Meme-Format, dem ich vor ein paar Jahren zum ersten Mal begegnet bin: Existierende Songs, so verfremdet, dass sie in eine durch Titel und Bild erzeugte Szene hineinpassen.
Schließt die Augen und hört zu (mit Kopfhörern):
Weil ich nicht David Foster Wallace oder Margaret Atwood bin, fällt es mir schwer, in Worten zu beschreiben, was dieses Stück mit mir macht. Schon die ersten Töne versetzen mich nostalgisch zurück an einen Ort, an dem ich noch nie war. Ja, ich bin noch nie durch ein leeres Einkaufszentrum gestromert, während Africa von Toto lief - erst recht nicht durch eine klassische amerikanische Mall. Trotzdem kitzelt das Audio irgendwelche Neuronen tief in meinem Gehirn. Einmal angeklickt, bums, schon sitze ich verträumt an meinem Schreibtisch, versunken in Erinnerungen, die ich nicht habe. Eigenartig.
Cecil Robert - die Person hinter diesem Video - hat auf ihrem YouTube-Kanal verschiedenste Szenarien dieser Art nachgebaut. Ein weiterer Liebling von mir ist das hier.
Diese Mood-Stücke teilen ein bisschen von ihrer DNA mit “Slowed & Reverb” - einem der vielen Remix-YouTube-Trends, in dem bekannten Songs einen neue melancholische Lo Fi-Qualität gegeben wird.
Ich meine, wirklich, gebt euch dieses Teil. Das ist von einem fucking. FAN. Habe ich erwähnt, wie sehr ich das Internet liebe?
(Ach ja, und all das ist nach der neuen Urheberrechtsrichtlinie der EU quasi illegal. ¯\_(ツ)_/¯)
Influencer hat toxische Beziehung zu Fan (diesmal James Charles)
Dieser Insider-Artikel von Lindsay Dodgson über inheränt problematische persönliche Beziehungen zwischen Influencern und Fans ist ein MUST-READ - insbesondere für alle, die mit meinem Text über parasoziale Beziehungen vor drei Wochen etwas anfangen konnten.
Er zeigt auf, warum die Geschichten von Stars, die Fans manipulieren und schlecht behandeln, immer und immer wieder auftauchen - es gibt kein Fandom, keine Internet-Nische, in der es nicht zu vergleichbaren Fällen kam. Wie die Psychologin Elizabeth Jeglic erklärt, ist das Ganze beinahe ein strukturelles Problem.
Jeglic said this is a whole new dynamic that's been born out of the internet age, and experts are still trying to figure out the best way to tackle the issues it raises. The influencer or celebrity may be blind to the dynamic because they have not learned what boundaries they should or should not cross, often because they are young themselves.
"Becoming a celebrity can happen overnight in the YouTube world or in the TikTok world," said Jeglic. "Nobody is giving these people lessons in this, they don't go to HR training. There is no HR."
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Wirklich schade dass ich nicht für die Produktion der Oscars zuständig bin, denn dank diesem Text von Julia Alexander weiß ich jetzt genau, was man tun müsste, um sie fürs Streaming-Zeitalter attraktiv zu machen
Das Meme (?)
grüße mit dem einzig wahren satansschuh.
🩸,