Die Zerstörung der Ironie
Jan Josef Liefers, Thees Uhlmann, Klaas Heufer-Umlauf
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Allesironischmachen
In einem tollen Late Night Berlin-Sketch aus 2019 spielt Klaas eine fiktive Version von sich selbst (er wird im Sketch immer nur als “der Mann” oder “dieser Mann” bezeichnet), die unter einer furchtbaren Krankheit leidet:
Er ist zwanghaft ironisch.
Weil Klaas es nicht schafft, auch nur einen einzigen ernst gemeinten Satz zu sagen, verliert er im Laufe der Geschichte seine Familie, seinen Job und schließlich bei einem Banküberfall sein Leben. Es ist ein Stephen Kingscher Abstieg ins Bodenlose, eine Tragödie.
Der einzige Ort, an dem Klaas im Sketch akzeptiert wird, ist Twitter. “Da waren alle so wie er, ironisch”, sagt seine Sketchfrau. “Alle ‘Witzigen’ sind ihm da gefolgt. Es war wie so ein Zuhause für ihn”. Der Psychologe im Film, gespielt von Ulrich aus Dark, schiebt diesen wunderbaren Satz hinterher: “Also, spätestens ab 10.000 Followern entsteht bei ironischen Twitterern ein irreversibler Schaden im Gehirn.”
Ironische Twitter-Accounts haben Twitter als Netzphänomen, vor allem in Deutschland, maßgeblich mitgeprägt, und das weit über einzelne Blödel-Account hinaus. Auch Jung-Politikerinnen und Welt-Redakteure nutzen Twitter mittlerweile hauptsächlich um Aussagen, die ihnen nicht passen, mit ironischen Sprüchen zu ownen. Ernste Aussagen - insbesondere wenn diese bisher nicht oder kaum geäußert wurden - findet man immer seltener. Weil es auf Twitter nichts schlimmeres gibt als ein Außenseiter und peinlich zu sein. Auf Peinliche wartet nämlich selbst die Ironie-Keule.
Und weil Twitter nicht nur irgendeine nischige Social Media-Plattform für Verrückte ist, sondern eine nischige Social Media-Plattform für Verrückte, die mehr Diskurse in Deutschland anstößt als irgendeine andere Plattform, ist die Überironisiertheit unserer Diskurse kein reines Twitter-Phänomen.
“Wäre der 11. September 2001 heute, kämen nach drei Tagen die ersten Gags bei Twitter”, sagte Gemischtes Hack-Host Tommi Schmitt vor ein paar Tagen im Interview in der Zeit. “Unsere Gegenwart [ist] schon wie eine Black Mirror-Folge. Das Dystopische, das Düstere sind nicht die Smartphones, sondern dass wir alle die ganze Zeit nur noch lachen. Die Leute können sich im Büro nicht mal mehr unironisch ‘Guten Morgen’ sagen.”
Ich habe den Verdacht, dass diese Beobachtung mehr über das Büroumfeld von Tommi Schmitt verrät als über die deutsche Gesellschaft an sich, aber in bestimmten, diskurssetzenden Kreisen, trifft er damit genau ins Schwarze.
Die Ironie-Madness ist so verfestigt, dass sich schon eine Gegenbewegung gebildet hat: Eine Sehnsucht nach ironiefreien Zonen, nach simpler Sentimentalität. Romcoms auf Netflix boomen, Self-Help-Insta-Accounts versprechen einem Allerweltspublikum Allerweltsweisheiten und wo vor ein paar Jahren noch viele Trash-TV-Schauerinnen sich mit dem Vorwand verteidigten, sie würden das “nur ironisch” gucken, gucken sie es heute einfach so.
Eines meiner Lieblingsalben der letzten paar Jahre ist “Junkies und Scientologen” von Thees Uhlmann. Es gibt darauf unter anderem einen Song über einen Fahrer, der Frauen nach HipHop-Videodrehs nach Hause fährt und einen Song über den verstorbenen Musiker Avicii, in dem Thees Jürgen Klopp und Abba namedroppt, “Oman” auf “Oh Mann” reimt und mich trotzdem zum Weinen gebracht hat, als er den Song kurz vor der Coronakrise live in München gespielt hat. Ein Gedanke, mit dem ich nur ungern Zeit verbringe, ist dass irgendjemand mit einem Screenshot von 2019er-Thees-Uhlmann-Lyrics auf Twitter ein prima Ziel für hämische Kommentare hätte - einfach weil Thees Uhlmann sich nichts auf den ganzen Ironiekram scheißt und genau das schreibt und singt, was er meint - so peinlich das auch klingen mag, wenn man ihn nicht leiden kann.
Beispiel:
Was wird aus Hannover, wenn die Scorpions nicht mehr sind?
Und wir im Wind of Change nur eine Kerze waren im Wind?
Du hast über die Scorpions gelacht, aber die sind in Stranger Things
Was ist, wenn wir beide wie Hannover sind?
Twitter würde es verabscheuen.
In den Vereinigten Staaten war Ironie in den 90er und 00er-Jahren ein Kulturphänomen. Ein berühmter Ausspruch nach dem 11. September 2001 erklärte den Terroreinschlag zum “Ende der Ära der Ironie”. Zwar überlebte sie noch ein Weilchen länger, aber tatsächlich konnte man seit etwa seit Mitte der 10er-Jahre beobachten, wie sich immer mehr klassisch ironische Gestalten in den USA verabschieden und, getrieben vom blanken Horror der Trump-Präsidentschaft, die Welt mit klareren Augen und Worten betrachten und beschreiben. Ein einzelnes Beispiel: Stephen Colbert hat 2015 seinen gleichnamigen Charakter, eine Satire auf rechte Talk Show-Hosts wie Bill O’Reilly, beerdigt, und spricht seitdem offen und ehrlich in seiner Late-Night-Show über Dinge, die ihm wichtig sind.
Politische Ironie ist in den USA mittlerweile meist ein Werkzeug der politischen Rechten, die behauptet, die Demokraten hätten keine legislativen Pläne außer “Männer in Frauentoiletten zu zerren”, oder man findet sie in der “Dirtbag Left” mit Podcasts wie Chapo Trap House, die grundsätzlich alle Politiker (außer evt. Bernie Sanders) gleich scheiße finden und ohnehin der Meinung sind, dass es völlig egal sei, ob ein Demokrat oder ein Republikaner im weißen Haus sitzt. In den tatsächlich politisch aktiven Teilen des Spektrums - unter den Leuten, die wirklich etwas bewegen wollen und tun, wirkt Ironie etwas muffig.
Wir erleben deshalb ein eigenartiges Spannungsfeld. Auf der einen Seite wird auf Social Media heute erwartet, dass Menschen klar Stellung zu den großen Fragen unserer Zeit beziehen: Klimawandel, Black Lives Matter, MeToo. Aber gleichzeitig findet das alles auf einem Medium statt, dessen Kultur Distanzierung und Abschottung durch Quote Tweets, Screenshots und Witz-Wettstreit aktiv fördert. Wenn man z.B. das irre Robert Habeck-Interview in der Zeit liest und darauf folgend ein paar Gedanken zu performativer Maskulinität in einer feministischen Bewegung schreiben möchte, bekommt man damit (wissenschaftlichen Studien nicht zufolge) exakt 15% der Likes, die man bekommen hätte, wenn man einfach einen Screenshot postet und darüber “Mimimi” schreibt.
Die #allesdichtmachen-Aktion hat nun in riesigem Ausmaß dargelegt, wie destruktiv solche ironische Statements in politischen Debatten (wie sie auf Twitter seit Jahren Alltag sind) tatsächlich wirken können. Die Schauspieler*innen in den Videos haben einen Sturm losgelöst, in dem niemand über irgendetwas Greifbares redet, weil niemand weiß, was damit eigentlich gemeint war. Am Wenigsten die Teilnehmer selbst, deren Videos sich teilweise inhaltlich stark unterscheiden und alles von durchaus treffender Sozialkritik bis zu völlig absurden Querdenker-Medienschelten beinhalten.
Nur die Ironie als Klebemittel kann eine so inhaltslose Kampagne überhaupt zusammenhalten, da sie es den Teilnehmer*innen ermöglicht, sich nicht über tatsächliche Forderungen zu definieren, sondern nur über das, was sie nicht wollen (alles dichtmachen). Das schmerzt vor allem deswegen, weil es seit Monaten jede Menge Leute gibt, die aus verschiedenen politischen Blickwinkeln sachlich und gut motiviert die Corona-Politik und Kulturblindheit der Bundes- und Landesregierungen kritisieren. Es gibt Forderungen nach der Ausweitung von Außenveranstaltungen, die erwiesenermaßen nur ein sehr viel geringeres Risiko aufweisen. Es gibt Forderungen nach besseren finanziellen Hilfen für Kulturschaffende. Es gibt Forderungen nach einer NoCovid-Strategie. Es gibt Forderungen nach einem Umdenken in der Impfpriorisierung.
Fordert Jan Josef Liefers irgendetwas davon?
Ich habe keine Ahnung. Weil er nichts fordern will. Er will einfach nur der Dax Werner des Feuilletons sein, und die Lieblingswaffe des Internets nutzen: Die Ironie. Und damit jede Menge Leute gegeneinander aufbringen, ohne dass irgendjemand irgendetwas dabei lernen könnte.
Toll gemacht.*
*ironisch gemeint
Außerdem
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