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Warum Norbert Röttgens Meme-Kampagne nicht funktioniert hat
Kann man mit Memes eine konservative Partei übernehmen? (Nein) +++ Hyperspezifische Spotify-Playlists +++ Influencen für Atomkraft
hier ist die am 18.1. aktuelle ausgabe von cool genug. ich freue mich über nachrichten und follows auf coolgenug.substack.com oder auf twitter, wo ich ab und zu ein gutes meme poste.
He’s running (?)
Norbert Röttgen ist nicht der neue CDU-Vorsitzende - und das trotz der ersten primär meme-betriebenen CDU-Vorsitz-Wahlkampagne der Geschichte. Schon im November hat Dirk von Gehlen in seinem Blog die “Röttgen-Rakete” (mein Namensvorschlag analog zum Schulz-Zug, der sich leider nie durchgesetzt hat) beschrieben und ausführlich gelobt.
Norbert Röttgen hat die erkennbar beste Social-Media-Strategie. Wie ich darauf komme? Norbert Röttgen besitzt ein Ansteck-Ringlicht und Norbert Röttgen mag Koalas.
Wir erinnern uns:
Und das war noch vor der Röttgens-Rock-Around-the-Christmas-Tree-Weihnachtsplaylist einen Monat später:


Die Geschichte “Ein innerparteilicher Underdog versucht mit einer progressiven Message und einem selbstironischen Social-Media-Game den Vorsitz einer konservativen Partei zu gewinnen” wäre übrigens ein bisschen spannender, wenn sie nicht 2019 schon einmal passiert wäre - damals mit dem Boris Johnson-Gegner Rory Stewart.


Rory Stewart hatte nie eine ernsthafte Chance - genau wie es nun scheint, dass Röttgen wohl auch nie eine hatte. Im Fall von Stewart kam viel social-media-wirksame Unterstützung aus dem Anti-Brexit-Lager, im Fall von Röttgen aus den coolen Teilen der CDU-Parteijugend und von Menschen, die nie in ihrem Leben CDU wählen würden. In beiden Fällen nicht die Leute, die man tatsächlich bei der Abstimmung braucht: Weder Röttgen noch Stewart schafften es überhaupt in die entscheidende Stichwahl.
Ich bin leider kein hartgesottener Berliner Politreporter, denn ich wüsste schon ganz gerne, ob das Röttgen-Team wirklich dachte, das mit den Memes könnte funktionieren. Oder ob die Taktik vielleicht von vornherein längerfristig gedacht war - um Röttgen mehr ins Gespräch zu bringen, zu zeigen, dass junge digitale Themen noch einen Platz in der CDU haben oder Röttgen im nächsten Kabinett eine wichtige Rolle freizuhalten.
In den USA funktioniert letztere Strategie schon seit Jahrzehnten - für jede halbwegs bekannte Person bei den Republikanern und Demokraten gilt es zum guten Ton, mindestens einmal bei den Vorwahlen zur Präsidentschaftswahl angetreten zu sein. Für Joe Biden war es 2020 immerhin der dritte Anlauf, und sogar Donald Trump hatte schon im Jahr 2000 einen erfolglosen Presidential Run gestartet (und nicht zu Ende geführt, weshalb sich heute kein Mensch mehr daran erinnert).
Die “Primary Season”, in der darüber spekuliert wird, wer bei der nächsten Wahl antreten könnte, ist deswegen für US-Politik-Junkies ein alle vier Jahre wiederkehrendes Fest. Wild werden Spekulationen umhergeworfen - am liebsten unter Primary-Season-spezifischen Memes: Immer wieder heißt es “He’s running” (kurz für: “He’s running for president”, und manchmal auch “she’s running”, meistens leider in der männlichen Form).


Cory Booker, dem das Meme hier zugeschrieben wurde, war ein paar Monate später übrigens wirklich Präsidentschaftskandidat. In der Regel wird “He’s running” aber als Witz verwendet - als könnte während der Primary Season niemand irgendetwas tun, ohne dass ihm oder ihr gleich Präsidentschafts-Ambitionen unterstellt werden.




In den USA wird es noch ein bisschen dauern, bis das “He’s running”-Meme wieder aus dem Winterschlaf auftaucht. Aber bei uns geht es ja dieses Jahr erst richtig los. Und auch wenn Röttgen es nicht geworden ist: Vielleicht lohnt es sich ja, weiter die Social Media-Feeds der großen deutschen Politik-Namen im Auge zu behalten:


Lo Fi Beats to read this newsletter to
Ich liebe dieses virale TikTok mit der Prämisse: “Wenn ich beim Joggen klassische Musik höre, fühlt es sich an, als würde ich verspätet zum Ball rennen.”
In dem dazugehörigen Twitter-Thread empfehlen sich Leute weitere Szenarien, die man im Kopf durchspielen kann, und verweisen auf Spotify-Playlists mit Titeln wie “running through a castle in a soaking wet dress during war” und “dancing with your enemy at a masquerade ball” und was soll ich anderes sagen als Ja, das ist sehr sehr gut.
Ich bin zwar ein Mensch mit einem Riesenherz für Musik-Nerds, aber ich bin nie ganz damit klargekommen, Musik nach ominösen Genre- oder Ära-Bezeichnungen sortieren zu müssen. Die Spotify-Generation, wo Songs in offiziellen Playlists namens “Walk Like a Badass” und “The PMS Playlist” landen, macht sich einfach sehr viel weniger Gedanken darüber, ob der Track, den man gerade feiert jetzt “Deep House” oder “French House” ist und ordnet einfach munter nach Stimmung, Mood oder eben fiktionalen Szenarios aus Filmen und Serien. Besser für die Ohren, besser für den Kopf.
Atomkraft ja bitte
Bei MEL Magazine gibt es ein spannendes Porträt der wohl ersten Anti-Klimawandel-Pro-Atomkraft-Influencerin. Die 30-jährige Brasilianerin Isabelle Boemeke aka Isodope ist noch nicht unbedingt ein virales Phänomen (der Artikel zählt 60.000 Follower mit allen ihren Plattformen zusammengerechnet). Trotzdem ist sie die spannendste Social Media-Personality, die mir in letzter Zeit begegnet ist.
Einmal bin ich Fan der Ästhetik - digital erzeugte Outfits und Make-Up, die die gute alte Vaporwave-Schule stolz machen sollten.
Außerdem liefert Isabelle Boemeke eine spannende Antwort auf ein typisches aktuelles Social Media-Problem: Wie kann man Menschen in komplexe und wissenschaftliche Inhalte hineinführen, wenn die Feeds immer schneller und die Videos immer kürzer werden? Isabelle, die einer mittlerweile vor allem in den USA verbreiteten “Klimaschutz geht nur mit Atomkraft”-Denkschule angehört, hat einen guten Pitch, wie das funktionieren kann.
If her work helps increase public support for nuclear technology she’ll be happy, but if she can inspire a new generation of scientists, engineers and leaders, that’s even better. “My target audience is young people online who would otherwise never think about nuclear energy,” she says. “The idea is to present just enough information in a crazy enough way to instill curiosity and motivate them to do more research.”
Außerdem
Ich sehe keinen Grund, etwas Neues zu Clubhouse zu schreiben, solange dieser Taylor Lorenz-Text aus dem Mai 2020 existiert
Der sehr gute Newsletter Garbage Day erzählt von der Rechts-Radikalisierung einer Facebook-Memepage namens “Giggle Palooza”
Wenn mein TikTok-Algorithmus mir nur solchen Content ausspielen würde, ich würde die App nie schließen
Die PULS Musik Analyse über das seltsame Verhältnis von Deutschrap und Supermarktketten-Werbespots
Fantastische Nacherzählung der Produktionsprobleme von Cyberpunk 2077 - inklusive der Info, dass das Studio Monate an einer Demo für eine Spielemesse arbeitete anstatt das eigentliche Spiel voranzutreiben
liebe grüße und wehe ihr findet mich auf clubhouse.
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