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Die besten YouTuber, von denen du nie gehört hat: Becki und Torben
Eine deutsche YouTube-Geschichte
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heute zum ersten mal ein eher historisches thema!
Becki und Torben forever
YouTube vor 2013 war ein Wunderland. Die Plattform war gerade corporate genug, um Marken auf die Plattform zu holen, die das eingespielte Ökosystem durcheinander wirbelten, aber noch anarchisch genug, um Platz für die schönsten kleinen Seltsamkeiten zu lassen.
Da gibt es dieses viel-zitierte Video-Tutorial aus 2011, in dem jemand zeigt, wie er für 19,12 Bitcoin eine Pizza bestellt (hätte er auf die Pizza verzichtet und die Bitcoin stattdessen behalten, hätte er sie vor ein paar Wochen für eine Million Euro verkaufen können).
Es gibt die Koch-Videos von Chefkoch Mike Neylan aus Tucson, Arizona, der in einer Reihe von Tutorials zunehmend ungehaltener wird, weil der Channel, der ihn angestellt hat, statt komplexer italienischer Rezepte von ihm nur verlangt, zu zeigen, wie man drei Käsesorten in einer Schüssel vermischt, eine Pizza mit einer Schere schneidet oder Pizzateig in Frischhaltefolie einwickelt.
Und es gibt Becki und Torben.
Es würde mich sehr wundern, wenn irgendwer, der diesen Text liest, je von Becki und Torben gehört hat - und wenn doch, dürfte das jetzt eine leicht surreale Experience werden. Für alle anderen: You’re in for a wild ride.
Becki und Torben war ein YouTube-Channel, in dem zwischen 2008 und 2009 zwei Jugendliche aus ihrem Kinderzimmer über ihr Leben vloggten. Das Besondere war, die Perspektive: Becki und Torben waren zwei überchristliche “töfte Teens”, die Jesus und göttliche Gebote echt knorke fanden, und unzüchtiges Verhalten extrem uncool. In Early YouTube - einer Community, die dominiert war von Leuten aus der Gaming- und Nerd-Kultur, von Eigenbrötlern und Weirdos - schlug das ein wie eine Bombe.
Erste Aufmerksamkeit bekamen die beiden durch ihre Video-Antwort (Like wers kennt) auf den Song “Gott ist ein Popstar” der deutschen Band Oomph!, der Mitte der im Rückblick doch irgendwie lächerlichen 00er-Jahre eine ziemliche Kontroverse ausgelöst hatte.
Ich hatte überlegt, einen längeren Ausschnitt aus dem Video zu zitieren, aber wenn ihr bis hierher gelesen habt, muss ich euch zumuten, das Ding auch einfach zu gucken. Keine Transkription, auch nicht von Sätzen wie “Wir hören selber Popmusik. Und Rock. Tokio Hotel, zum Bleistift” oder “Tschuldigung, ich unterbrach dich grade” würde diesem Meisterwerk gerecht werden.
Die Reaktion war gemischt.
Von Anfang an gab es Stimmen in Kommentaren und diversen Online-Foren (in denen Becki und Torben ausführlich diskutiert wurden), die in Becki und Torben einen Fake vermuteten. Das war damals durchaus bemerkenswert. Es hatte zwar schon Fälle wie lonelygirl15 gegeben, in denen sich ein vermeintlich echtes Format als Fiction herausgestellt hatte, aber anders als heute, wo man hinter jeder Ecke im Netz einen Fake oder eine Satire vermutet, war das Grundverständnis für so etwas einfach nicht da. Das Publikum - vor allem Kids im Schulalter, so wie ich - sah die Videos, fand sie lustig, und wollte auch irgendwie über diese dummen christlichen Kids lachen.
Denn verdammt nochmal, es war einfach sehr sehr guter Content.
Im Laufe der nächsten Monate kamen regelmäßig neue Videos, in denen die beiden unter anderem die Partei der Bibeltreuen Christen gegen die Partei “Die Frauen” abwägen, Karneval als ein heidnisches Fest kritisierten und vor Mobbing warnen.
Ihr bestes Video war, natürlich, das hier.
Der Höhepunkt dieser absurden kurzen Karriere war, als ein Sat1-Lokalnews-Team eine Homestory von Becki und Torben drehte, in der die Möglichkeit, dass all das vielleicht doch nur ein Fake ist, immerhin am Ende in einem Satz auftaucht.
Die Frage “Meinen die das wirklich ernst?” blieb ungeklärt. Länger als ein Jahr lang. Auch wenn die Antwort im Rückblick sehr offensichtlich erscheint, war sie es damals nicht - weder im Sat1-Bericht noch für das YouTube-Publikum.
Und genau deshalb war die Enthüllung am Ende auch so gewaltig.
Ich erinnere mich noch genau daran, dieses Video am Erscheinungstag anzusehen - und was für eine monumentale Wirkung das auf mich hatte: Die christlichen Teenager, die ich ein Jahr lang auf YouTube verfolgt hatte, hatten alles nur gespielt. Natürlich. Aber sie hatten es grandios gespielt.
Becki und Torben heißen eigentlich Laura und Florian und sind nach der Auflösung ihres großen YouTube-Pranks komplett von der Bildfläche verschwunden. Vor zwei Jahren habe ich einmal für ein Podcast-Format einen Tag lang versucht, die beiden aufzutreiben - erfolglos. Und eigentlich würde ich immer noch ganz gerne meine journalistischen Credentials einmal dafür missbrauchen, mir die ganze Geschichte von ihnen nochmal vom Anfang erzählen zu lassen - die so viel verrät über die frühen Tage des Social Webs und diese komische Goldgräber-Zeit, als YouTube noch so neu und aufregend war.
Aber vielleicht funktionieren Becki und Torben auch nur genau in dieser Blase der Nostalgie. Im Rückblick auf eine Zeit, in der sich das Internet so viel kleiner, aber auch so viel diffuser und abenteuerlicher angefühlt hat. Für mich sind Becki und Torben nach wie vor eines der tollsten Beispiele dafür, wie man die Formate und Konventionen des Internets für völlig neue Ideen nutzen kann. Laura und Florian waren ihrer Zeit weit voraus: In dem Schaffen von virtuellen Identitäten, in der Vermengungen von Nonfiction und Fiction im Netz.
Becki und Torben forever.
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Das Meme
Dieses Meme ging vor einer Woche auf Twitter um. Die untere Grafik zeigt Wesley Snipes im vergessenen 90er-Streifen New Jack City und ist eine Weiterdrehung eines älteren Memeformats, das den originalen Screenshot aus dem Film verwendet.


Upcycling, aber für Memes!
bis nächste woche, zum bleistift.
😢,