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Das Internet vergisst ständig
und es tut weh, wenn Dinge verloren gehen. Außerdem: Billie Eilish ist Dachdeckerin.
das hier ist cool genug - ein newsletter, der jede woche unseren umgang mit digitaler kultur auseinandernimmt und sich außerdem jede woche einen neuen selbstbeschreibenden slogan verpasst.
wenn du noch nicht folgst, es lohnt sich bestimmt :)
Versuch, einen Diskurs über “digitalen Verlust” zu starten
Wusstest du, dass Amazon einmal George Orwells Roman 1984 von einem Haufen Kindle-Reader gelöscht hat?
2009 ist das passiert, und ich erinnere mich hauptsächlich deswegen daran, weil es damals im Editorial einer Buchhandlungs-Gratiszeitung stand, als mahnender Zeigefinder gegenüber der Digitalisierung des Buchmarkts. Wenn der Große Bruder alles einfach so wieder löschen kann, hieß es da sinngemäß, öffnen wir damit nicht Tür und Tor für die Überwachung und ständige Umdefinition der Realität?
Lustigerweise kam zu ziemlich genau der gleichen Zeit die bekannte Weisheit auf, dass "das Internet nichts vergisst". Es war die Zeit des großen Social Media-Hypes und ich erinnere mich noch gut daran, in der Schule den Sorgen meiner Lehrerinnen zuhören zu müssen, wir würden unsere komplette Generation für immer vom Arbeitsmarkt ausschließen, indem wir das Netz mit unseren Partyfotos zuballern würden (ich war 14, und auf keinen Partys, deswegen nahm ich das zum Glück wenig ernst).
Sowohl meine Lehrerinnen als auch die Buchhandlungszeitschrift haben das Internet falsch verstanden - wie alle vor 12 Jahren.
Das Einfache zuerst:
Das Internet vergisst ständig.
Jeder Mensch, der jemals das Internet benutzt hat, hat dort schon etwas verloren: Accounts, Foren-Threads, Musik-Playlists, Fanfictions, Blogs, obskure YouTube-Clips, Memes oder Bitcoin. Mal sind wir selbst die, die etwas versemmeln und falsch abspeichern oder versehentlich löschen. Sehr oft geht der Fehler aber nicht von uns aus, sondern von den riesigen Plattformen und Serverfarmen, die unser digitales Leben bestimmen. Oder aber direkt vom ursprünglichen Urheber: Vor etwa einem Jahr hat Made in Heights, die Elektroband hinter einem meiner Lieblingsalben, sich wegen irgendeines internen Streits komplett von allen Streamingdiensten verabschiedet und damit quasi ihre Existenz aus meinem digitalen Gedächtnis gelöscht (wer mehr darüber lesen möchte, ich habe diese Woche im Zündfunk etwas darüber erzählt).
Diese digitalen Besitztümer zu verlieren, kann wirklich wehtun. Ich habe als Teenager zum Beispiel eine Menge komische Kurzgeschichten auf eine komische Kurzgeschichtenwebsite hochgeladen, die ich wirklich gerne noch einmal sehen würde - aber nichts da, futsch, für immer. Gleichzeitig erinnere ich mich an Momente, als ich den Freudentränen nahe war, weil ich es geschafft hatte, nach stundenlanger Suche ein 10 Jahre altes Video wiederzufinden.
Aber was fühlen wir, wenn die Dinge wirklich weg sind? Das Wort "Trauer" klang für mich immer viel zu melodramatisch, bis ich vor ein paar Wochen den fantastischen Text "Preparing and Mourning for Deletion Death" von Substack-Kamerad Matt Klein gelesen habe. Darin geht es um eine YouTube-Playlist, die Matt über Jahre gepflegt hat, und die plötzlich von YouTube gelöscht wurde - ohne Möglichkeit zur Wiederherstellung.
Matt Klein war so nett, für diesen Newsletter und die oben erwähnte Zündfunk-Story mit mir zu zoomen. Er ist Psychologe und Cultural Strategist (von jetzt an mein neues Berufsziel) bei der Agentur Sparks & Honey in New York.
If we are what we put out into the world and then that's gone, that's us. And we we may trivialize it because it's not physical , it's zeros and ones. But if we acknowledge the emotional connection to it, it's very real. I have more emotional connection to that playlist then I do to some of my physical, tangible goods.
Genauso geht es mir. Und deshalb ist es in Ordnung, über digitalen Verlust traurig zu sein - auch wenn es dafür bislang kaum einen Diskurs gibt. Wichtig ist auch: Es geht nicht einfach nur darum, Dinge zu verlieren, die wir selbst geschaffen haben. Sondern über unsere Teilhabe an unserer gemeinsamen digitalen Kultur.
Vor allem junge Leute definieren sich heute zunehmend über Online-Identitäten - und die sind genauso vielfältig wie unsere Offline-Selbsts. In Videospiel-Achievements, kurierten Playlists und Meme-Accounts stecken Zeit, Mühe und Herz. Nur anders als bei Selbsterfüllungs-Projekten der analogen Welt (Modelleisenbahn oder so) sind wir bei diesen Schöpfungen komplett den Zahnrädern riesiger Unternehmen ausgeliefert, die sich für individuelle Personen null interessieren.
Genau das hat Matt Klein erlebt, als seine Playlist - wohl durch irgendein fehlerhaftes Flagging - plötzlich gelöscht wurde.
There is no one person in charge of deleting my playlist. And that's what I think hurts more than anything else, that even if I could, I wouldn't be able to reason with emotion and nuance to someone to say: hey, this was a mistake, I hope you can understand, can you please put this thing back? And instead, it's a faceless algorithm. There is no human intuition. There is no critical thinking. There is no care.
Matt ist diese Sache sehr wichtig. Aber YouTube ist sie komplett Banane. Genausowenig wie Märklin sich für das Schicksal eines Modelleisenbahn-Bauteils in irgendeinem Keller interessiert, kümmert es YouTube, was mit dieser Playlist passiert.
Der Unterschied ist, dass es in der analogen Welt eine Lösung für dieses Problem gibt: Die Modelleisenbahn steht in meinem Keller, ich kann mich selbst um sie kümmern und somit Dinge, die mir wichtig sind, mit entsprechender Aufmerksamkeit versehen, die sie in den Augen der Gesellschaft vielleicht nicht wert wären.
In der digitalen Welt funktioniert das nicht. Egal wie wichtig uns unsere Daten sind, sie werden zentralisiert gelagert und von den Plattformen genauso behandelt wie all die Ramschdaten, die täglich massenweise von Bots generiert werden. Für ein großes Internetunternehmen ist es egal, ob ein Datenpunkt in seinem Server ein in liebevoller Kleinarbeit zusammengestelltes Herzensprojekt ist, oder irgendein automatisch generierter Nonsens. Und somit sind auch unsere Herzensprojekte angreifbar für fehlgeschlagene Spam-Filter und technische Glitches.
Wir werden im 21. Jahrhundert immer weiter in den digitalen Raum hineinwachsen - vielleicht sogar in eine gemeinsame virtuelle Experience, die aktuell unter dem Trendbegriff "Metaverse" für viele große Augen sorgt. Aber wirklich funktionieren wird das erst, wenn die fundamentale Frage geklärt ist, wie wir es schaffen können, Daten im digitalen Raum genauso persönlich zu priorisieren wie Besitztümer im analogen. Vielleicht springen sogar ein paar nette Geschäftsmodelle dabei raus.
Ich glaube heute, die Amazon-Kindle-1984-Geschichte wurde falsch verstanden. Schuld an der Löschung von den E-Readern war ein technisches Problem - die konkrete Ausgabe, die manche gekauft hatten, wurde wohl von nicht-autorisierten Dritten hochgeladen. Es ging nicht um Überwachungsfantasien, es ging um Schludrigkeit. Das größte Problem mit den Herrschern des Internets ist aus heutiger Sicht wohl nicht, dass sie datenhungrig und böse sind. Es ist eher: Sie sind datenhungrig und gleichgültig.
Billie Eilish ist Dachdeckerin
Mein persönlicher Triumph diese Woche war, als ich endlich diese Memes verstanden habe.
Anscheinend hat eine ehemalige Germany’s Next Topmodel-Kandidatin und aktuelles Instagram-Model über Billie Eilishs Vogue-Cover folgendes gesagt (sic)
Heutzu könnte ein gelernter Dachdecker nur durch Geld und Fame auf Magazin Titelblätter kommen
Dummes Statement, gute Memes.
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Das Meme
verweile noch, du bist so online.
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